Gepeinigt
auch gleich.«
»Jawohl, Sarge«, antwortete sie knapp. Sie nahm ihren Blazer von ihrer Stuhllehne und zog ihn an. Wenigstens schaffte sie es diesmal, an Paul vorbeizukommen, ohne sich weitere anzügliche Kommentare anhören zu müssen.
Sie wünschte sich inständig, sie hätte gestern ähnlich reagiert, als Nick sie zum ersten Mal bat, mit Spencer Gray zu reden. Aber das war nicht der Fall gewesen. Stattdessen hatte sie wie ein Hasenfuà reagiert. Die Erinnerung lieà sich nicht länger verdrängen und brandete wie eine Flutwelle über sie hinweg.
Wie ein Haufen aufgeschreckter Hühner waren sie den Gang entlang hinter Nick hergelaufen, während ihr Boss sie mit Anweisungen bombardierte.
»Nathan, reden Sie noch mal mit dem Burschen an der Kasse. Aus dem muss doch mehr rauszuholen sein. Wann ist er zur Arbeit gekommen? Kann er sich an irgendwelche verdächtigen Fahrzeuge oder Aktivitäten auf dem Parkplatz erinnern? Tom, Sie befragen noch einmal den Ladeninhaber und den Rest des Personals. Dieselben Fragen. Und guckt euch ein zweites Mal die Tapes an â und zwar ganz genau! Irgendwas muss doch zu finden sein! Wer kam rein und hat nichts gekauft? Wer hatte Tätowierungen, wie man sie bei Häftlingen sieht? Wer hat versucht, sein Gesicht zu verbergen, eine Kappe oder Ãhnliches? Wes, Sie haben unseren möglichen Zeugen ausfindig gemacht, bin sehr zufrieden mit Ihnen. Reden Sie noch mal mit dem Polizisten, dem der verlassene Wagen aufgefallen ist. Ãberprüfen Sie seine Aussage erneut Schritt für Schritt und kommen Sie danach zum Tatort. Becker, ich möchte, dass Sie sich unseren möglichen Zeugen vornehmen. Pressen Sie alles aus ihm heraus. Wes wird Ihnen sagen, wo er zu finden ist. Dreht jeden Stein um, Leute. Sie ist eine von uns. Ich will, dass sie gefunden wird. Noch heute.«
Wes hatte Claudia mit dem Ellbogen angestupst.
»Er ist im Regal Lakes abgestiegen.«
Claudia hatte genickt, während sie hastig mit den anderen Schritt hielt. Dann hatte sie sich zu ihrem Chef vorgedrängt.
»Sarge, könnte ich kurz mit Ihnen reden? Wäre es Ihnen recht, wenn ich mit Wes tausche?«
Er war abrupt stehen geblieben und hätte beinahe einen gröÃeren Zusammenstoà verursacht. Die anderen waren an ihnen vorbeigerauscht wie ein reiÃender Fluss an einem Felsblock.
Nick hatte Claudia mit verengten Augen angesehen, als würde er versuchen, ihre Gedanken lesen.
»Jetzt ist keine Zeit für Diskussionen.« »Tut mir leid. Es ist nur ⦠also, ich würde mich einfach wohler fühlen, wenn ich tauschen könnte. Wes hat ihn schlieÃlich ausfindig gemacht. Sollte er dann nicht auch â¦Â«
»Becker, wir haben Sie in unser Team aufgenommen, und ich bin bisher sehr zufrieden mit Ihnen gewesen, aber das wird mich nicht daran hindern, Sie in den Streifendienst zurückzubefördern, wenn Sie unfähig sind, Befehle zu befolgen.«
»Tut mir leid. Es ist nur ⦠ich glaube, dass â¦Â« Claudia hatte nicht zu Ende sprechen können. Nick hatte bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und sich einige Meter von ihr entfernt, so dass ihr nichts anderes übrigblieb, als hinter ihm herzurufen:
»Ich fürchte, es handelt sich um, äh, einen Interessenkonflikt.«
Abermals blieb er abrupt stehen, drehte sich um und kam ein paar Schritte auf sie zu.
»Spucken Sieâs aus, Constable.«
»Nun ja, ich hatte mal was mit dem Zeugen. Einmal, um genau zu sein.«
»Spielt keine Rolle.«
»Aber die Umstände waren ein wenig unangenehm.«
»Korrigieren Sie mich, falls ich es falsch verstanden habe: Sie hatten eine Affäre, oder besser gesagt, einen One-Night-Stand mit dem einstigen internationalen Star Spencer Gray. Soweit ich über den Kerl informiert bin, sind Sie eine unter vielen. Mary ist viel wichtiger als Ihre verkorksten Beziehungen. Tun Sie Ihre Arbeit. Ich will kein Wort mehr davon hören.«
Und dann war er davongestürmt. Er hatte keinen Millimeter nachgegeben und war sicher obendrein stinksauer auf sie, weil sie seine Zeit verschwendet hatte. Claudia war auch wütend gewesen, auf sich selbst. Ihr war sofort klar, dass diese Auseinandersetzung wochenlange schwere Selbstvorwürfe nach sich ziehen würde. Ihr einziger Trost bestand darin, dass nur sie das wahre Ausmaà ihrer Unzulänglichkeit kannte. Ihre völlige Hingabe an ihren Job reichte aus, um die
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