Gepeinigt
und ihr wurde zähneknirschend Respekt entgegengebracht. Aufgrund ihres untrüglichen Gespürs für die Schwachstellen anderer hatte sie den Kerrigan-Fall fast im Alleingang geknackt. Eine Polizistin, die sich jeder in seinem Team wünschte.
Er klopfte an und trat ein. Er fand jedoch keine gebrochene, in Tränen aufgelöste Frau vor, die sich ängstlich unter der Bettdecke verkroch. Mary saà auf der Bettkante, den Blick zornig auf ihn gerichtet. Das Flügelhemd trug sie mit offensichtlicher Verachtung. Sie sah schrecklich aus, grün und blau geschlagen. Aber ihre braunen Augen blickten ihn mit ungetrübter Wildheit an.
»Na endlich«, war alles, was sie sagte.
Er ging auf sie zu. Eine andere, Claudia vielleicht, hätte er zu trösten versucht, eine Schulter zum Ausweinen und der ganze Rest. Aber nicht sie. Er wusste instinktiv, dass sie
eine solche Geste nicht willkommen heiÃen würde, dass sie vor jedem physischen Kontakt zurückschreckte. Mary wollte wie immer behandelt werden, sie brauchte den Respekt, den man ihr als Polizistin und Berufskollegin zollte.
»Neue Sachen«, sagte er, als hätten sie es hundertmal eingeübt.
»Rudolph Valentino, hoffe ich!«
»Sorry, bloà ein Claudia Becker Special.« Ein Schulterzucken, damit es weniger entschuldigend klang.
»Was sollâs.« Sie nahm die Tüte. »Und?«
Nick sank das Herz. Ein hässlicher Geschmack lag ihm auf der Zunge. Noch bevor ihm die Worte über die Lippen kamen, schüttelte er den Kopf.
»Kaum glaubwürdige Zeugen. Ein paar Spuren am Tatort â verschmierte Fingerabdrücke auf dem Auto und auf der Einkaufstüte. Ein paar Reifenspuren. Die üblichen Theorien. Blabla. Der Besitzer des 7-Eleven hat uns relativ schnell alarmiert, als er Ihren Wagen auf dem verlassenen Parkplatz stehen sah. Das ist immerhin etwas. Es gibt einen möglichen Zeugen, den ich aber für unzuverlässig halte. Könnte sein, dass alles darauf hinausläuft, dass nur Sie etwas für uns haben, Mary. Aber kommen Sie, lassen Sie uns von hier verschwinden. Ich warte drauÃen, bis Sie sich angezogen haben. Dann fahre ich Sie nach Hause. Dort reden wir, ja?«
Mary nickte knapp, und Nick sagte:
»Bis gleich.«
Kurz darauf trat sie zu ihm in den Gang hinaus. Sich so schnell anzuziehen, musste bei ihren Verwundungen ziemlich wehgetan haben.
»Sie müssen erst noch zur Stationsschwester und Ihre Entlassungspapiere unterzeichnen«, erklärte er. »Ich hole inzwischen den Wagen. Wir können uns durch den Hinterausgang
verdrücken. Hab ich erwähnt, dass drauÃen ungefähr hundert Reporter warten und Sie in Stücke reiÃen wollen?« Er verzog das Gesicht. »Sorry, schlechte Wortwahl«, murmelte er.
Er konnte sehen, wie Mary an seiner Entschuldigung kaute, aber sie sagte nichts. Sie nickte nur und wandte sich ab, um ihre Entlassungspapiere zu unterzeichnen.
Eine Viertelstunde später waren sie unterwegs, glücklicherweise ohne von einer Reportermeute verfolgt zu werden. Mary lebte in einem der neueren Bezirke Mount Dempseys, mit schicken Condos und Bürohochhäusern. Sie kamen am Stadtpark und am öffentlichen Schwimmbad vorbei. Dann fuhren sie über die Captain-Clarke-Brücke und passierten den nüchtern-kantigen Bau des neuen Creative Arts Centers.
Sie waren nur noch zwei Blocks von Marys Apartmentkomplex entfernt â tatsächlich fuhren sie soeben am 7-Eleven vorbei, vor dem Mary entführt worden war -, als sie zum ersten Mal wieder etwas sagte.
»Ich hab keinen Hausschlüssel.« Ihre Stimme klang wie ein versteckter Vorwurf.
Er wandte sich ihr zu und bemerkte ihre steife Haltung, die starr geradeaus gerichteten Augen. »Ich habe Ihr Schloss heute Vormittag auswechseln lassen. Ihre Hausschlüssel und Ihre Brieftasche waren nicht im Auto. Ich wollte kein Risiko eingehen â¦Â«
»Danke«, sagte sie so abweisend, dass klar war, dass sie keine weiteren Erläuterungen hören wollte. Sie verstand die Notwendigkeit dieser MaÃnahme und akzeptierte sie.
Was nicht bedeutete, dass sie ihr gefiel. Nick bemerkte ihren widerwilligen Gesichtsausdruck, und sie tat ihm leid. Aber er konnte nichts machen, diese Dinge mussten nun mal sein.
»Sturz hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass man Ihre Familie benachrichtigt hat.«
»Was?«, blaffte Mary ihn an.
Nick tat ihre Empörung mit einem
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