Gerade noch ein Patt
Mutter und seinen Schwestern etwas geschah.
Also, was konnte er tun?
Er untersuchte den Wachhund und den Spürer. Die Qualität der Programme auf seiner Akte legte nahe, daß er dem Decker, der die Arbeit erledigt hatte, im direkten Vergleich hoffnungslos unterlegen war. Andy war zwar als Decker nicht schlecht, aber sein eigentliches Talent war das Riggen. Auch mit mehr Zeit und besserer Hardware als der, die ihm zur Verfügung stand, würde es ihm vermutlich nicht gelingen, etwas zu knacken, das der Decker geschützt hatte. Seine Jäger aufzuspüren und zu identifizieren schied als Möglichkeit aus, und zu warten, bis sie zu ihm kamen, war nicht besonders klug.
Jede Ecke, um die er bog, wartete mit neuen, besorgniserregenden Überraschungen auf. Er fühlte sich mehr als nur ein wenig überfordert.
Er konnte zur Telestrian-Sicherheit gehen. Dort würde man sich mit Feuereifer daran machen, denjenigen in die Finger zu bekommen, der in die Telestrian-Matrix eingedrungen war. Da Andy jedoch von den Runnern benutzt worden war, traf diese Charakterisierung unglücklicherweise auch auf ihn selbst zu. Also schied auch diese Möglichkeit aus.
Schade, daß er sich nicht an Buckhead und Feather wenden konnte, aber dies hier war kein virtuelles Abenteuer. Abenteuer sollten lustig sein und nicht beängstigend. Dies hier war real.
Und beängstigend.
Andy der Shadowrunner hätte sich in einer Mikrose-kunde für ein Vorgehen entschieden und den Plan dann auch ungeachtet der Konsequenzen ausgeführt, aber der Andy aus der realen Welt konnte das nicht. Er schwankte hin und her und wußte nicht, welches Vorgehen ungefährlich sein würde. Schließlich wurde ihm klar, daß es falsch war, nach einem ungefährlichen Vorgehen Ausschau zu halten, weil es keines gab. Er wünschte, er könnte Andy den Shadowrunner nach einer besseren Lösung fragen, aber Antworten aus einer Scheinwelt konnten reale Probleme nicht lösen.
Vielleicht boten ihm seine virtuellen Shadowruns trotz alledem eine Antwort. Er hatte oft genug gespielt, um einige der Regeln des Schattengeschäfts zu verstehen, und er wußte zwar, daß der Spiegel der Virtualität keine originalgetreuen Abbildungen lieferte, aber er wußte auch, daß die strategischen Grundprinzipien innerhalb wie außerhalb der Matrix galten. Wie in einem Traum sah er einen Ausweg.
Nachdem er die Idee gründlich betrachtet und nach Schwächen abgeklopft hatte, kam er zu dem Schluß, daß sie eine Chance sei. Sie war drastisch, würde aber gewährleisten, daß seine Familie nicht in den Schlamassel hineingezogen wurde, der sich um ihn herum entwickelte. Um sie in die Tat umzusetzen, würde er viel arbeiten und bis an die Grenzen seiner Fähigkeiten gehen müssen, aber er glaubte, daß er es schaffen konnte, wenn seine Nerven mitspielten.
Unter neuerlicher Ausnutzung von Russ' Code unternahm Andy einen ernsthaften Ausflug in die Matrix. Es war drei Uhr morgens, als er endlich fertig war.
Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Die falsche ID, die er unter Benutzimg von Russ' TZC zusammengebastelt hatte, würde beim morgendlichen System-Update gelöscht werden, und bis dahin blieben ihm nur noch zwei Stunden.
Er ging in die Wohnung zurück. Es war still, und er tat nichts, um diese Stille zu stören. Seine Mutter wartete diesmal nicht auf ihn. Ein simpler Anruf im Lokali-sierungs-Zentrex würde ihr verraten haben, daß sich Andy immer noch in der Sicherheit des Telestrian-Ost-Komplexes befand und Überstunden machte. Aber er war nicht in Sicherheit. Keiner von ihnen war es oder würde es sein, wenn sein Plan nicht funktionierte.
Aus seinem Zimmer holte er sich diejenigen seiner Habseligkeiten, von denen er glaubte, daß sie ihm nützlich sein konnten. Es war nicht viel, was auch gut so war, weil er nicht viel mitnehmen konnte, ohne verdächtig auszusehen. Er wählte Kleidung, die einerseits robust und andererseits möglichst unauffällig war. Von dem Zeug, das er mitnahm, war das wichtigste sein Sony CTY-370 Cyberdeck und sein Werkzeugsatz. Damit war seine Tasche fast voll, also blieb ihm gar keine andere Wahl, als mit leichtem Gepäck zu reisen. Als letztes nahm er die Narcoject-Nachbildung und einige der Talismane, die er sich in seiner Verner-Phase gekauft hatte. Die Kanone war nicht echt, sah aber so aus, und die Talismane - nun, sie konnten nicht schaden.
Trotz aller Versicherungen seinen Schwestern gegenüber hatte er die Talismane nicht weggeworfen. Er hatte sie aus einer Laune heraus
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