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Geräusch einer Schnecke beim Essen

Geräusch einer Schnecke beim Essen

Titel: Geräusch einer Schnecke beim Essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Tova Bailey
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liebsten auch eines gehabt hätte:
     
    Ah, aber ich weiß, dass meine Schale schön ist, und hoch, und glasiert, und glänzend. Ich weiß es sehr wohl, obwohl ich es selber noch nicht gesehen habe. Ihr geschwungener Rand ist aus der feinsten Emaille. Innen ist sie glatt wie Seide, und ich, ich fülle sie perfekt aus.
     
    Die Windungen eines Schneckenhauses sind asymmetrisch nach außen geneigt. Bei dem Gehäuse meiner Schnecke verliefen sie, wie gemeinhin üblich, rechts herum, mit der Öffnung auf der rechten Seite. Es gibt jedoch auch Schnecken, bei denen die Windung links herum verläuft. In seinem Vortrag vor der Perthshire Society nimmt uns G. A. Frank Knight auf eine architektonische Führung mit:
     
    Stellen wir uns das Innere eines Schneckenhauses als eine Wendeltreppe vor, so befindet sich beim «Besteigen» einer Molluske mit rechtsgewundener Schale die «Achse» stets zu unserer Linken; bei einer Molluske mit linksgewundener Schale hingegen windet sich die ins Innere führende Treppe um eine Achse zu unserer Rechten.
     
    Die Richtung der Windung wirkt sich auch auf die Beziehungen der Schnecke aus: Zur Paarung braucht sie einen Artgenossen mit gleich gewundener Schale.
    Wenn das Gehäuse einer Schnecke beschädigt wird, kann es schnell repariert werden. Der Mantel scheidet neues Material dafür aus, und der Sprung oder Riss wird zu einer Art Narbe, die unseren Hautnarben ähnelt. Sogar ein herausgebrochenes Stück des Gehäuses kann ersetzt werden. Oliver Goldsmith hat das 1774 so beschrieben:
     
    Manchmal sind diese Thiere dem Scheyne nach in Stücke geborsten, gantz und gar zerstört; doch dessen ungeachtet machen sie sich ans Werk und haben binnen weniger Tage sämmtliche Sprünge und Risse reparirt… so dass ihr zugrunde gerichtetes Gehäuse vollauf wiederhergestellt ist. Doch sind die Fugen leicht zu erkennen, denn sie sind von einer frischern Farbe als der Rest, ja die gantze Schale ähnelt gewissermaßen einem alten Mantel voll neuer Flicken.
     
    In einem 1852 erschienenen Artikel mit dem Titel Shell Fish: Their Ways and Works [Schalentiere: Ihr Wirken und Wesen] preist George Johnson das Schneckenhaus als «ein Gebäude, das es an Komplexität und zugleich Ordnung in den einzelnen Teilen sowie an Vollendung in der Kunst der Oberfläche mit den schönsten je von Menschenhand errichteten Palästen aufnehmen kann, nein diese noch übertrifft». Johnsons «Kunst der Oberfläche» bezog sich wahrscheinlich auf die bunten, glänzenden Gehäuse aus den Tropen. Das Gehäuse meiner Waldschnecke war zwar schön und von vollkommener Gestalt, doch seine Farbe war erdig und die Oberfläche von einem bescheidenen, matten Glanz. Es war treffender mit dem Wort beschrieben, das auf Mandarin «bescheidene Behausung» bedeutet, nämlich w ōjū oder– wörtlich heißt das «Schneckenhaus».
    Das Gehäuse meiner Schnecke, das mich an einen zusammengerollten Schlafsack erinnerte, wie auch ich ihn einst auf meinen Rucksack geschnallt hatte, war eine großartige Lösung für ein von Wanderlust geprägtes Leben. Und es hatte noch einen weiteren Vorteil: Im dritten oder vierten Jahrhundert vor Christus bemerkte der Athener Dichter Philemon: «Welch ingeniöses Tier ist doch die Schnecke… Wenn sie in schlechte Nachbarschaft gerät, nimmt sie einfach ihre Behausung und zieht davon.»
     
    Im Gegensatz zum robusten Gehäuse der Schnecke, das außen saß, befand sich meine stützende Struktur in meinem Innern. Doch die Knochen, aus denen mein Skelett bestand, verloren rapide an Dichte, und es gab kaum etwas, was meine Ärzte oder ich hätten tun können, um diesen Prozess aufzuhalten. Mein Status als Wirbeltier war im Begriff, sich im wahrsten Sinne des Wortes aufzulösen. Ich würde als weiches, rückgratloses Wesen enden, eher einem Gastropoden gleich als einem Säugetier. Und sofern meine Achselhöhlen nicht begannen, Schalensubstanz abzusondern, würde ich eher einer Nacktschnecke als einer Weinbergschnecke ähneln.
    Ich betrachtete die gewundene Schale meiner Schnecke von außen, doch wie mochte es wohl sein, im Innern eines solchen Gebildes zu leben? Einen Monat vor Ausbruch meiner Krankheit hatte ich das Guggenheim Museum in New York besucht. Auf dem Weg zurück nach unten war ich auf halber Höhe der spiralförmigen Rampe im Innern des Rundbaus stehen geblieben. Mir schwindelte, wenn ich, die Windungen der Rampe über und unter mir, hinauf oder zum fernen Erdgeschoss hinab blickte. Jetzt versuchte ich mir

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