Geräusch einer Schnecke beim Essen
vorzustellen, wie es wäre, im Verhältnis zum Guggenheim so groß zu sein wie die Schnecke im Verhältnis zu ihrem Gehäuse, so dass mein Kopf aus dem Eingang ragte und mein Körper sich innerhalb der Rotunde bis ganz nach oben wände.
10 . Geheimrezepte
Mein breites Kielwasser glänzt, jetzt wird es dunkel.
Ich hinterlasse ein hübsches, schillerndes Band:
Das weiß ich.
Elizabeth Bishop, Die Riesenschnecke , 1969
Vor hunderten Millionen Jahren entwickelten einige Meeresschnecken zufällig gewisse Eigenschaften, die es ihnen ermöglichten, an Land zu leben. Um in einem trockenen Lebensraum zu bestehen, mussten sie ihre Körper feucht halten. Während meine Säugetiervorfahren trockene Haut entwickelten, um der Dehydration vorzubeugen, ging die gastropodische Sippe meiner Schnecke einen anderen Weg und perfektionierte voller Hingabe den klebrig-dickflüssigen Schleim, auch Mukus genannt. Während der Homo sapiens Schleim in seinem Innern hat – und zwar mehr als gemeinhin vermutet –, ist es das extravagante Wesen der Gastropoden, äußerlich komplett von Schleim bedeckt zu sein.
Natürlich kann Schleim eklig sein, doch jetzt fiel mir zum ersten Mal auf, dass er durchaus auch interessant ist. Wie oft war ich nach der Gartenarbeit hineingegangen, um mir die Hände zu waschen, nur um festzustellen, dass sich die Erde zwar mit Wasser und Seife sofort entfernen ließ, den Schleimspuren von meinen unabsichtlichen Begegnungen mit Nacktschnecken – den weniger ästhetischen Verwandten meiner Schnecke – hingegen damit nicht beizukommen war: Sie hafteten an meinen Fingern wie Klebstoff. Ich brauchte Bimsstein oder sogar grobes Sandpapier, um das Zeug wegzukriegen.
Anders als man angesichts ihres Äußeren vermuten würde, stehen Nacktschnecken keineswegs auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe als die Gehäuseschnecken, vielmehr hat sich ihre Schale im Laufe der Zeit zurückgebildet. Ohne Gehäuse können sie leichter ihre Gestalt verändern und sich besser in schmale Spalten zwängen.
Die Biologen C. David Rollo und William G. Wellington kommentierten ihre gastropodischen Forschungsobjekte einmal belustigt wie folgt: «Ein Beutel kaltes Wasser, der sich bloß rühren kann, wenn er undicht ist, sollte außerhalb eines Sumpfes eigentlich nicht lebensfähig sein.» Und dennoch blühen und gedeihen die Landschnecken, eben dank ihres Schleims.
Schleim ist die klebrige Essenz der Schneckenseele, das Medium für jegliche Lebensäußerung der Gastropoden: Fortbewegung, Verteidigung, Heilung, Liebesspiel, Begattung und Schutz der Eier. Fast ein Drittel des täglichen Energieaufwandes meiner Schnecke galt der Schleimproduktion. Und statt eine große Portion «Allzweckschleim» herzustellen, hatte meine Schnecke für jede dieser Aktivitäten und verschiedene Bereiche ihres Körpers ein ihrer Spezies eigenes Rezept. Wie ein guter Koch konnte sie die Zutaten den jeweiligen Erfordernissen anpassen. Und wenn eine Schnecke durch einen schlimmen Unfall zerquetscht wird, kann sie eine Flut von lebensrettendem, durch Antioxidantien und diverse regenerative Eigenschaften heilkräftigem Schleim absondern.
Beim Überfliegen des von dem Zoologen Mark Denny verfassten Kapitels Die molekulare Biomechanik der Schleimabsonderungen von Mollusken in Die Mollusken stieß ich auf eine beeindruckende Alliteration, die mir im Gedächtnis haften blieb: «die makromolekulare Struktur des Mukus von Mollusken». Die technischen Details überstiegen mein Begriffsvermögen, aber es ging ganz offensichtlich darum, wie das Zeug zusammenhält – wie eine gewisse Menge Wasser von etwas Salz und Glykoprotein reguliert wird. Voller Bewunderung erläutert Denny: «Wenn [der Schleim einer Molluske] umgerührt wird und die Rührbewegung endet, zieht er sich wieder zusammen und… besitzt ausreichend Viskosität, um sich an einem Stück aus einem Becherglas gießen zu lassen.»
Meine Schnecke schied eine besondere Art von Schleim aus, auf dem sie sich fortbewegte: den Kriechschleim. Wenn sie übers Moos glitt, wirkte das völlig mühelos, kroch sie aber an der Glaswand des Terrariums hinauf, konnte ich sehen, wie winzige Wellen über die Unterseite ihres Fußes liefen. Diese Wellenbewegung verflüssigte den festen Schleim vorübergehend, so dass die Reibung verringert wurde und die Schnecke sich mit einer Geschwindigkeit von mehreren Zentimetern pro Minute vorwärtsbewegen konnte. Ihre einfüßige Fortbewegung hatte eine viel längere Geschichte
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