Geräusch einer Schnecke beim Essen
unbeantwortbare Frage aufwirft, wo der Instinkt endet und der Intellekt beginnt. Meine Schnecke lebte ihr Leben von einem Moment zum nächsten, ganz ähnlich wie ich, sie traf Entscheidungen – oder war unentschieden – hinsichtlich Futter, Unterschlupf und Schlaf. Wenn eine Schnecke lernen und sich erinnern kann, dann denkt sie – zumindest auf einer gewissen Ebene; davon war ich überzeugt. Und bis zum Beweis des Gegenteils (vorzugsweise durch eine Schnecke), werde ich an dieser Überzeugung festhalten. Das Leben einer Schnecke ist, so sehr wie jedes andere, von dem ich weiß, von leckerem Essen, mehr oder weniger bequemen Schlafplätzen und einer Mischung aus erfreulichen und weniger erfreulichen Abenteuern erfüllt.
Abgesehen von ihren bemerkenswerten Liebesbeziehungen, über die ich bald mehr erfahren sollte, leben Schnecken solitär. Ihr Verhalten gilt als mäßig komplex, einfacher als das von Säugetieren und Insekten, aber weiter fortentwickelt als das von Würmern. Ich fragte mich, ob Schnecken miteinander kommunizierten. In Die Abstammung des Menschen schilderte Darwin die Beobachtungen eines Wissenschaftlerkollegen:
Mr. Lonsdale theilt mir mit, dass er einmal ein Paar Landschnecken (Helix pomatia) , von denen die eine schwächlich war, in einen kleinen und schlecht versorgten Garten gethan habe. Nach einer kurzen Zeit war das kräftige und gesunde Individuum verschwunden und konnte nach der schleimigen Spur, die es hinterlassen hatte, über die Mauer in einen benachbarten gut versorgten Garten verfolgt werden. Mr. Lonsdale folgerte daraus, dass es seinen kränklichen Genossen verlassen habe; aber nach einer Abwesenheit von vierundzwanzig Stunden kehrte es zurück und theilte offenbar das Resultat seiner erfolgreichen Entdeckungsreise seinem Gefährten mit, denn beide machten sich nun auf denselben Weg und verschwanden über die Mauer.
Berührten sich diese beiden Schnecken mit den Fühlern? Und falls ja, welche Informationen wurden durch Körperkontakt und Geruch ausgetauscht? Hielte sich eine einzelne Schnecke, wenn sie die Wahl hätte, nicht lieber in der Nähe einer Artgenossin auf, um die Fortpflanzung und den Erhalt des Erbguts zu sichern? Zwar gehen die heutigen Malakologen davon aus, dass Schnecken sich nicht dauerhaft binden, doch eröffnet Lonsdales Bericht, so er denn stimmt, durchaus die Möglichkeit, dass bei den Gastropoden Verwandtenselektion stattfindet, denn eine Schnecke, die zu krank ist, um ihren eigenen Kriechschleim zu produzieren, könnte auf der Spur eines Gefährten leichter Fressen und Unterschlupf finden.
Blattlauseltern warnen ihre winzigen Nachkommen vor Räubern, indem sie das Blatt, auf dem sie leben, in Vibration versetzen. Und obwohl man bisher davon ausging, dass sich Ameisen nicht über akustische Signale verständigen, haben Wissenschaftler kürzlich entdeckt, dass einige Ameisenarten über Substratschall kommunizieren. Auch wenn die Welt der Schnecken geräuschlos ist, schließt das andere Kommunikationsmethoden nicht aus. Der Biologe Roman Vishniac war immer wieder erstaunt über die individuell ausgeprägten Persönlichkeiten der mikroskopisch kleinen Lebewesen in einem Tropfen Teichwasser und deren Beziehungen und Kämpfe. Wie soll eine Spezies, und sei es die unsere, je wirklich ergründen können, auf welchem Wege eine andere Spezies oder Gruppe von Tieren interagiert?
Ich respektierte die Intelligenz meiner Schnecke, insofern verstörte mich die Lektüre der von der Cooperative Extension herausgegebenen Literatur zur Schneckenzucht. Im Laufe der Jahrtausende haben Schnecken als gesunde Nahrung sowie als Heilmittel gegen fast jegliches Leiden gedient. Doch es war ein ungutes Gefühl – insbesondere nach dem Zwischenfall mit der Maisstärke –, zu erfahren, wie man Schnecken mästete. Ich vermied es, beim Lesen zu meiner kleinen Gefährtin hinüberzuschauen, und hoffte inständig, sie möge nicht zu einer Art gastropodischen Telepathie fähig sein beziehungsweise, falls sie es doch war, erkennen, dass sie mir lebendig am nützlichsten war.
Die Römer hatten keine derartigen Skrupel; sie setzten Schnecken in paradiesartigen Gärten mit üppiger Vegetation aus, die von unüberwindlichen Wassergräben umgeben waren, so dass alle Bedürfnisse der Schnecken gestillt wurden, eine Flucht aber unmöglich war. Wobei ich als Zuchtschnecke die frische Biokost der Römer der heutigen Ernährung mit Maismehl aus chemisch gedüngtem Genmais allemal
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