Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geräusch einer Schnecke beim Essen

Geräusch einer Schnecke beim Essen

Titel: Geräusch einer Schnecke beim Essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Tova Bailey
Vom Netzwerk:
landen. Man nimmt sogar an, dass mikroskopisch kleine Schnecken vom Wind emporgetragen werden und mit Luftströmungen immer höher in die Erdatmosphäre steigen können. Sie können auf diese Weise ungeahnte Entfernungen zurücklegen und schließlich mit einem Regenguss wieder auf die Erde gelangen, unter idealen Bedingungen also für die Fortbewegung auf Kriechschleim und die Suche nach frischen Pilzen.
    In den Hunderten von Millionen Jahren des Reisens mit Vögeln, Wasser und Wind hatte die Familie meiner Schnecke auch den Wald in meiner Nähe besiedelt. Es war Zufall, dass der Weg meiner Schnecke genau in dem Moment einen vom Menschen angelegten Weg gekreuzt hatte, als eine Freundin von mir – die Sorte Freundin, die wegen einer Schnecke stehenblieb – vorbeikam. So umfasste die Geschichte der gastropodischen Fortbewegung nun auch die unerwartete Reise meiner eigenen Schnecke, die mit dem Transportmittel Mensch an mein Bett gelangt war.

13 . Die Gedanken einer Schnecke
     
    Warum solch langes
Gründliches Überlegen
Du kleine Schnecke?
    Kobayashi Issa ( 1763 – 1827 )
     
    Ich war mir sicher, dass meine Schnecke die Einzelheiten ihrer Welt genauso deutlich wahrnahm wie ich die der meinen, also begann ich mir Gedanken über ihre Intelligenz zu machen. Ich kroch weiter voran durch die Gastropoden-Fachliteratur und gelangte zu der Stelle, wo das Gehirn der Schnecke beschrieben wird, das je nach Art fünftausend bis hunderttausend Riesenneuronen umfasst.
    Schnecken haben ein Gedächtnis, sie können neue Gerüche und Geschmäcke kennenlernen, das Wissen darum wochen- oder auch monatelang bewahren und ihr Verhalten entsprechend anpassen. «Zu viele Menschen glauben, die Schnecken… hätten überhaupt kein Gehirn», schreibt der Malakologe Ron Chase. Wie bei den Menschen lernen auch bei den Schnecken die älteren langsamer als die jüngeren. Es gibt zahlreiche Situationen, die für Schnecken bedrohlich sind, und selbst Wissenschaftler verwenden inzwischen das Wort «Angst», um zu beschreiben, wie die Gastropoden auf Gefahr reagieren.
    1880 hat ein unbekannter Autor in einem Aufsatz mit dem Titel Schnecken und ihre Gehäuse erklärt, der Schnecke fehle es «keinesfalls an Intelligenz, vielmehr ist sie der lebende Beweis für den Aphorismus, dass stille Wasser tief sind». Lorenz Oken, ein deutscher Naturforscher aus demselben Jahrhundert, schrieb in seinem Lehrbuch der Naturphilosophie geradezu schwärmerisch:
     
    Bedächtlichkeit, Vorsicht sind die Gedanken der [Schnecke]… Welche Majestät in einer kriechenden Schnecke, welche Ueberlegung, welcher Ernst, welche Scheu und zugleich welch festes Vertrauen! Gewiß, eine Schnecke ist ein erhabenes Symbol des tief im Innern schlummernden Geistes.
     
    Auch heutige Malakologen scheinen sich der Komplexität des Lebens der einzelnen Schnecke bewusst zu sein. «Um das Leben einer Gehäuse- oder Nacktschnecke wirklich verstehen zu können, muss man die ganze Lebensgeschichte berücksichtigen», erklärt A. J. Cain in dem von ihm verfassten Kapitel Ökologie und Ökogenetik der Landmolluskenpopulationen in The Mollusca. Die Biologen Teresa und Gerald Audesirk wiederum bemerken in ihrem Kapitel Das Verhalten gastropodischer Mollusken ähnlich respektvoll an: «Je mehr die Forscher lernen, wie Schnecken zu denken…, desto erstaunlichere Lernleistungen [der Schnecken] treten zutage.»
    Eine Schilderung des Verhaltens einer Schnecke, die in eine schwierige Lage geraten war, faszinierte mich ganz besonders. Sie war in Mental Powers and Instincts of Animals [Geisteskräfte und Instincte der Tiere] zu finden, einem Kapitel von Charles Darwins Manuskript Natural Selection [Natürliche Zuchtwahl] :
     
    Mr. W. White… klemmte eine Landschnecke mit der Gehäuseöffnung nach oben in einen Felsspalt… binnen kürzester Zeit streckte sich das Thier zu seiner äußersten Länge & versuchte, indem es seinen Fuß oberhalb vertikal anheftete, die Schale in eine gerade Position zu ziehen; daraufhin ruhte es sich einige Minuten aus, reckte seinen Körper auf die rechte Seite & zog, so fest es vermochte, doch vergebens; es ruhte sich abermals aus, streckte dann den Fuß zur linken Seite, zog mit aller Kraft & befreite die Schale. Diese Kraftausübung in drei Richtungen, die so eindeutig dem Prinzip der Geometrie zu folgen scheint, erfolgte möglicherweise instinctiv.
     
    Wenn ich in einem Felsspalt feststeckte, würde ich mich auf ähnliche Weise zu befreien versuchen. Was die

Weitere Kostenlose Bücher