Geräusch einer Schnecke beim Essen
Spezies. Ich wollte endlich aus dem Felsspalt der Krankheit, in dem ich feststeckte, freikommen.
Wie schön wäre es doch, könnten wir Kranke uns einfach in einen Ruhezustand begeben, während die Wissenschaft im Schneckentempo ihre Forschungen vorantrieb, und erst dann wieder erwachen, wenn neue, verlässliche Behandlungsmethoden verfügbar wären. Wobei – warum sollte diese erstaunliche Fähigkeit auf Kranke beschränkt bleiben? Wäre es nicht gut, wenn sich die Bevölkerung eines Landes, dem eine Hungersnot drohte, geschlossen in den Schlafzustand begeben, die schweren Zeiten wohlaufgehoben verstreichen lassen und zur neuen Anbausaison wieder erwachen könnte?
FÜNFTER TEIL
Liebe und Geheimnis
Dazu sei bemerkt, dass jedes Tier ziemlich alle
Rätsel des Lebens in sich birgt.
Karl von Frisch, Erinnerungen eines Biologen , 1973
15 . Hermetisches Leben
Schnecke, von einem
Tropfen getroffen, zieht sich
In ihr Haus zurück.
Yosa Buson ( 1716 – 1783 )
Mein anfängliches Staunen über die Verteidigungsmechanismen der Gastropoden verwandelte sich schnell in Respekt. Egal welcher Spezies und Familie man angehört, die Welt strotzt vor Gefahren, und meine Schnecke brauchte all ihre aktiven und passiven Verteidigungsmethoden. Aber die Überlebensstrategien der einen Tierart erscheinen einer anderen unter Umständen seltsam.
Es gibt schneckenfressende Räuber der unterschiedlichsten Art, von Säugetieren aller Größen über Amphibien und Vögel bis hin zu diversen Insekten wie etwa Ameisen, Tausendfüßler, Käfer und kleinere Parasiten. Selbst einige Spinnenarten verspeisen gern Schnecken, wobei Simon Pollard und Robert Jackson in ihrem Kapitel in Natural enemies of terrestrial mollusks [Natürliche Feinde der Landmollusken] darauf hinweisen, dass der Giftbiss einer Spinne «Körperkontakt [erfordert] und… gemeinhin mit einer Ladung Schleim im Gesicht bezahlt wird, was den meisten Spinnen ein zu hoher Preis für eine Mahlzeit ist».
Meine Schnecke war richtig clever – einige ihrer aktiven Verteidigungsmethoden waren so subtil, dass mir ihr strategischer Aspekt zunächst gar nicht bewusst war. Der schlichte Rückzug ins Gehäuse diente nicht nur dem physischen Schutz, sondern erweckte auch den Eindruck, es sei keiner zu Hause. Meine Schnecke hatte diese Verteidigungsmethode an dem Tag, an dem sie im Veilchentopf zu mir gelangte, erfolgreich angewandt. Oliver Goldsmith beschreibt dieses Verhalten wie folgt:
Solcher Art mit einem gleichermaßen leichten wie auch festen Schilderhause versehen, sieht sich die Schnecke in vielfältigster Weise vor allen äußeren Verletzungen geschützt. Im Falle eines Angriffs zieht sie sich einfach in diese Festung zurück und wartet geduldig, bis die Gefahr vorüber ist.
Ihre geringe Fortbewegungsgeschwindigkeit scheint die Schnecke verwundbar zu machen, doch tatsächlich kann sie durchaus als Überlebensstrategie gelten, denn manche Räuber reagieren vor allem auf schnelle Bewegungen. Und ihr lautloses Dahingleiten schützt die Schnecke vor Tieren, die sich bei der Jagd von Geräuschen leiten lassen.
Schleimig zu sein ist ein raffiniertes Abwehrsystem, das weit mehr vermag, als einen Homo sapiens abzustoßen. Große Räuber bekommen glitschige Tiere nicht richtig zu fassen, und kleinere parasitische Insekten bleiben womöglich im Glibber stecken, oder ihre Beißwerkzeuge verkleben. Wenn die übliche Schleimrezeptur zur Abschreckung nicht ausreicht, kann auf der Stelle eine reichhaltige Portion Schleim mit besonders giftigen und übelschmeckenden Inhaltsstoffen produziert werden. Bei den Gastropoden ist das Überleben des Stärkeren oft gleichbedeutend mit dem Überleben des Schleimigeren.
Eine andere hochentwickelte passive Verteidigungsmethode der Gastropoden zeigte sich darin, wie das erdfarbene Gehäuse meiner Schnecke in ihrer Umgebung aufging. Ich war immer wieder verblüfft, wenn die Schnecke vor dem Hintergrund der Vegetation im Terrarium gleichsam vor meinen Augen verschwand, sogar während sie in Bewegung war.
Eine weitere brillante Strategie meiner Schnecke bestand darin, sich immer wieder andere Schlafplätze zu suchen. Mal lag sie, in ihr Gehäuse zurückgezogen, unter einem Farnwedel auf der Seite, so dass sie von oben nicht sichtbar war, mal schmiegte sie sich an einen modernden Ast von der gleichen Farbe wie ihre Schale, oder sie lag in einer kleinen Erdspalte, durch ein paar Flechten getarnt. Es war erstaunlich, dass die
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