Geraeuschkiller - Mutige Liebe
und hörten zu. Auch Knut kam vorbei.
Und als
Clara im Sound einer E-Gitarre einen Hiphop anstimmte legte Pedro einen
Breakdance hin, schneller, wilder und hitziger wie je zuvor, als wollte er sich
aufbäumen gegen die Stille. Knut tapste wie ein Tanzbär dazu, die Dorfjugend
tanzte wie im Fieber und die Kinder hopsten übermütig durcheinander. Sogar die alte
Lisa Gohlke mit ihren 80 Jahren, die sich auf ihren Rollator stützte, wippte
mit dem Kopf im Takt – alle Lebensgeister waren geweckt. Niemand wusste zu
sagen, wie lange das ging, doch die gute Laune hielt noch an, nachdem
alle nach Hause oder in die Arbeit gegangen waren und hielt sich schwebend bis
in den nächsten Tag hinein.
Nachts
schreckte Clara immer wieder schweißgebadet aus dem Schlaf auf, weil sie im
Traum Musik und Vögel hörte, Kaffeemaschinen und gellende Alarmglocken - ein
grässliches Durcheinander von Geräuschen. Wie gut, dass sie bei ihrer Mutter im
Bett schlafen durfte. Sie kuschelte sich an sie. Sie kuschelte sich an sie. Wie
würde es morgen in der Schule sein? Sie fürchtete sich vor ihrem ersten
Schultag. Der Gedanke an die Stille im Klassenzimmer und an Armin Wolfrum
drückte ihr auf den Magen.
Anna
brachte ihre Tochter und Pedro mit dem Auto zur Schule. Obwohl sie eine Stunde
früher losgefahren waren, um die morgendliche Rushhour zu vermeiden, standen
sie im Stau.
»Pass auf,
dass dir der Kopfverband nicht verrutscht. Lass niemanden dran, auch nicht
deine Freunde – okay?«, warnte ihre Mutter.
Pedro hielt
Claras Hand. Er sagte: »Ich passe auf, dass ihr keiner zu nahe kommt!«
Anna sah
sein entschlossenes Gesicht im Rückspiegel und lächelte ihm zu. »Ich weiß
Pedro, auf dich können wir uns verlassen!«
Im Stau gab
es kein Weiterkommen. Anna schaltete den Verkehrsfunk ein.
»… die
Serie von Einbrüchen in Privathaushalte, Tankstellen, Geschäfte und Banken
reißt nicht ab.«, sagte gerade der Nachrichtensprecher. »Letzte Nacht räumten
Einbrecher die Zentrale der Ostseebank in Laage aus. Das ist die dritte
Niederlassung der Ostseebank innerhalb von fünf Tagen, die …«
»Habt ihr
das gehört!«, rief Anna. »Dass die Leute so etwas ausnutzen!« Sie schüttelte
den Kopf.
»Der
Finanzminister warnt aber die Bevölkerung davor, Barschaften von den Konten
abzuheben. Das Geld sei im Sparstrumpf nicht sicherer als auf der Bank, das
zeigten die Einbruchsserien in Privathaushalte, so der Finanzminister.«
Der
Nachrichtensprecher versuchte optimistisch zu klingen.
»Die
Regierung wird in Kürze so genannte Stille-Papiere ausgeben zur Sicherung der
Barguthaben der Bürger.«
»Haben wir
viel Geld auf der Bank, Mama?«, fragte Clara.
»Nein,
Schatz, wir haben nur Schulden. Das erste Mal bin ich froh darüber!«
»Schulden?«
»Ja, bis
wir unser Haus abbezahlt haben!«
Der
Unterricht hatte schon begonnen, als sie, um eine Stunde verspätet, ankamen.
Die Schüler saßen über ihre Schulhefte gebeugt und die Stifte kritzelten
lautlos über das Papier.
Clara setzte
sich auf ihren Platz, ihr Stuhl knarrte nicht wie sonst. Sie lauschte in die
bedrückende Ruhe hinein und hörte etwas, was sie so noch nie gehört hatte. Ein
vielstimmiges Atmen.
»Guten
Morgen ihr beiden … wir haben schon angefangen«, sagte Frau Kleinschroth, ihre Deutschlehrerin.
»Damit sich die Klasse beruhigt.« Die Lehrerin, die sonst Nerven hatte wie
Drahtseile, sah blass und erschöpft aus. Ihre forsche Stimme klang dünn. Clara
wurde es noch mulmiger.
»Ich habe
das heutige Aufsatzthema auf die aktuelle Lage abgestimmt. Clara und Pedro,
schreibt nieder, was ihr beobachtet habt in den letzten schreckensreichen
Tagen. Eure Mitschüler sind schon mittendrin.«
Frau
Kleinschroth trippelte unruhig die Reihen ab, vom Pult bis zum Ende des
Klassenzimmers und zurück. Immer und immer wieder. Ihre Schritte wurden
schneller, hektischer. Sie hatte den Gesichtsausdruck, der inzwischen bei
vielen Menschen zu beobachten war. Angestrengt starrte sie vor sich hin, mit
aller Kraft darauf konzentriert, in der Stille doch noch irgendeinen Ton zu
erhaschen. Aber da war nichts.
Bis auf
ihre Schritte.
Bis auf das
Atmen.
Clara holte
ihren Filzstift heraus und schlug ihr Heft auf, sie wusste nicht wo sie
anfangen sollte.
» Seitdem
die Geräusche verschwunden sind, komme ich mir vor wie in einem luftleeren Raum . Wenn
ich früher in der Stille Schritte hörte oder Regentropfen, die auf das Dach
trommelten, dann hab ich gehört wie die Zeit vergeht. Ohne
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