Geraeuschkiller - Mutige Liebe
Geräusche verliere
ich das Gefühl für die Zeit «, schrieb sie in ihr Heft.
Sie
schnupperte. Heute riecht es anders hier. Stärker nach – nach Mensch, fand sie.
Nach Stall. Nach Angstschweiß.
Plötzlich
fegte Armin Wolfrum mit beiden Händen seine Hefte und Bücher vom Tisch, und mit
einer Stimme, die spitz in die Höhe schrillte, sagte er : »Es ist nicht schlimm. Nicht schlimm. Nicht schlimm. Die Sonne bricht entzwei.
Fällt. Fällt. Fällt. Ich hole ja schon die Schere. Ich hole sie schon!«
»Was ist mit
dem los?«, flüsterte Pedro.
»Keine
Ahnung!«, Clara zuckte die
Achseln.
»Was redet
sie denn da? Das versteht doch kein Mensch!«
Alle
Augen waren auf Armin gerichtet. Er redete ohne Punkt und Komma wirres Zeug.
Zog er wieder mal eine Show ab? Frau Kleinschrot sagte: »Armin! Hör auf mit dem
Unsinn! Du störst die anderen bei der Arbeit!«
»Die
Wände rutschen weg! Haltet sie fest! Haltet sie fest!«
»Armin
Wolfrum! Es ist genug!«, sagte Frau Kleinschrot.
Doch
er stand mit leerem Blick mitten im Klassenzimmer und redete weiter Unsinn.
Gespielt war das eindeutig nicht. Etwas stimmte nicht mit ihm.
Frau
Kleinschrot fasste ihn behutsam am Arm. »Armin? Ist dir nicht gut?« Sie
führte ihn, der ihr willenlos folgte, zum Pult und drückte ihn auf den Stuhl.
»Der
Himmel fällt herunter! Wo ist meine Mütze? Schnell! Schnell!«
Die
ganze Klasse stand jetzt um ihn herum.
»Nervenzusammenbruch«,
sagte Clara.
»Ludmilla,
hol den Schulleiter! «, sagte Frau Kleinschrot.
Als
wenig später der Schulleiter, Herrn Dierdich, kam, hatte sich Armin noch nicht
beruhigt. Er starrte vor sich hin, schien niemanden zu hören oder zu sehen:
»Das Haus fliegt davon! Holt ein Seil! Alle Mann an Bord!«
Herr
Dierdich berührte Armins Stirn. »Er ist ganz heiß. Pedro, lauf ins Sekretariat
und sag Frau Maise, dass sie den Notarzt rufen soll!«
Pedro
rannte los. Irgendwie freute es ihn, dass es Armin so böse erwischt hatte. Aber
helfen wollte er ihm doch, wenn es unbedingt sein musste .
Es
mochte eine gute Stunde vergangen sein, bis der Notarzt kam. Er fühlte Armins
Puls. Testete seine Reaktionen. Er klopfte ihm mit der Hand auf die Wangen,
damit er zu sich kam. Vergebens.
»Wir
hatten in den letzten Tagen mindestens 300 Einsätze dieser Art«, sagte er.
»Tendenz
steigend«, fügte der Sanitäter hinzu.
»Stillekoller«,
sagte der Notarzt und prüfte Armins Augenreaktion.
»Stillekoller?«,
fragte Herr Dierdich.
»Ja.
Neuartige Krankheit. Wer davon befallen ist, der tut den ganzen Tag und auch
nachts nichts anderes als vor sich hinzureden. Vermutlich, um die Stille nicht
hören zu müssen.«
Der Notarzt
gab Armin eine Spritze. »Zur Beruhigung«, sagte er.
»Dass der
Verbrauch an Beruhigungstabletten und Schlafmittel enorm gestiegen ist, weil
die Leute mit den Nerven fertig sind, das weiß ich. Aber vom Stillekoller habe
ich noch nichts gehört«, sagte Herr Dierdich.
»Klar. Es
wurde diesbezüglich eine Nachrichtensperre verhängt. Man will verhindern, dass
in der Bevölkerung Massenpanik ausbricht.«
»Was soll
das heißen?« Der Schulleiter war empört: »Eine Nachrichtensperre! Das kann man
doch nicht mit uns machen! Was verschweigt man uns noch alles?«
Der Notarzt
schüttelte den Kopf. »Die Zahl der Opfer wächst beängstigend schnell. Es ist
besser, das nicht bekannt zu machen. Das beunruhigt die Leute nur.«
Er
leuchtete Armin noch einmal in die Pupillen. »Viele stürzen sich in die Arbeit,
um sich abzulenken«, sagte er. »So geht's mir. Ich arbeite rund um die Uhr. Das
ist das Einzige, was mir Halt gibt. Andere kriegen den Stillekoller.«
Die
Beruhigungsspritze wirkte. Armin schloss die Lider. Doch jetzt redete er im Flüsterton wirr vor sich hin.
»Er kann nicht
aufhören. Typisch«, sagte der Notarzt und gab den Sanitätern ein Zeichen. »Legt
ihn auf die Trage. Wir bringen ihn ins Städtische Krankenhaus. Die
Nervenkliniken sind schon überfüllt.«
Talk
»Ist das
nicht eine Mordsidee, Pedro? Der Sohn des Talkmasters Nummer eins der Nation
trauert um seinen Hund! – Mit der Schlagzeile, Junge, brechen wir morgen in
meiner Talkrunde alle Quotenrekorde!«
Miguel
Masón stand vor dem wandgroßen Spiegel im Wohnzimmer seiner Prunkvilla. Durch
den Spiegel wirkte das 100 Quadratmeter große Wohnzimmer doppelt so groß. Und
den von innen violett erleuchteten Pool schien es gleich zweimal im Wohnzimmer
zu geben.
Miguel warf
seinem Spiegelbild ein siegessicheres Lächeln zu.
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