Geraeuschkiller - Mutige Liebe
37.000 Quadratmeter! Und wenn ich morgens
ins Büro fahre, sehe ich reihenweise halbnackte Menschen am Straßenrand ihre
Notdurft verrichten. Denk dir, sie putzen sich die Zähne mit kleinen Hölzchen!«
Es
sprudelte alles aus ihm heraus, was er erlebt hatte.
»Die
Geräusche sind auch hier verschwunden! Stellt euch das Verkehrschaos von Mumbai
vor, dieser Höllenlärm ist wie weggeblasen. Es ist totenstill hier!«
»Papa,
gestern ist das Geräusch vom Meer verschwunden! Und Mitch und die Tiere im Zoo,
sie ... !«
»Dann
ist das alles wirklich wahr? Ich hab’s nicht glauben können, als ich es gelesen
habe!«
Clara
berührte den Bildschirm. »Papa, du fehlst mir so!«
»Du mir
auch, Liebes!« Er legte seine Hand auf den Bildschirm, da wo Claras Hand war.
»Ich
dreh hier noch durch, weil ich euch in dieser Katastrophe allein lasse! Heute
habe ich den ganzen Tag versucht einen Flug nach Hause zu buchen. Aber es gehen
keine Flieger mehr! Das Virus hat die Funksignale angegriffen, deshalb wurde
der Flugverkehr eingestellt, weltweit eingestellt! Stellt euch das vor!«
»Es
ist besser so, Hartmut ... Unter diesen Umständen zu fliegen, das wäre glatter
Mord.« Anna verkrampfte ihre Hände. »Sicherheit geht über alles!«
»Aber ich muss zu euch nach Hause,
und wenn ich die ganze Strecke mit dem Auto fahre!«
»Nein,
Papa! Tu das nicht!« Clara bekam Angst bei dem Gedanken ihr Vater könnte einen
Unfall haben.
»Warte lieber noch ein
paar Tage ab, Hartmut!«, sagte Anna. »Wir kommen ganz gut klar hier! Vielleicht
wird der Spuk ja gar nicht mehr so lange dauern!« Auch sie fürchtete um ihren
Mann. Die Autofahrt von Indien nach Deutschland dauerte schon unter normalen
Umständen eine Woche.
Stummfilm
Clara wurde
für ein paar Tage krankgeschrieben, sie musste sich schonen. Sie saß, mit dem
Verband um den Kopf und den Arm auf der Bank vor ihrem Elternhaus und versuchte
die schrecklichen Ereignisse der letzten Tage zu sortieren. Doch die Beklemmung
in der Brust und im Hals hörte nicht auf, manchmal glaubte sie keine Luft mehr
zu kriegen.
Drüben
schloss Pedro gerade alle Fensterläden der Villa Masòn. Sein Vater verlangte
das. Im Dorf hatten mittlerweile alle Häuser tagsüber die Rollläden herunter
gelassen und die Fensterläden geschlossen. Denn seit die Alarmanlagen nicht
mehr funktionierten und Wachhunde nicht mehr anschlagen konnten, stiegen
Einbrüche in Privathaushalte, Tankstellen, Geschäfte und Banken sprunghaft an.
Nachbarn, die einen Waffenschein besaßen, stellten ihre Schusswaffen einsatzbereit
hinter die Haustür. Wer keinen besaß, hatte ein großes Küchenmesser oder eine
Axt griffbereit, um sich und sein Hab und Gut vor Einbrechern zu schützen.
Claras
Mutter ließ sich davon nicht anstecken. »Bei uns gibt es nichts zu stehlen«,
sagte sie.
Pedro kam mit
hängenden Schultern zu Clara herüber, Mitch im Schlepptau, und setzte sich zu
ihr auf die Bank. Es war so still, dass sie ihre Herzen schlagen hörten. »Es
ist wie im Stummfilm, nur viel schlimmer!«, murmelte er. »Im Film gab’s
wenigstens noch Musik.«
»Früher
habe ich die Stille so gemocht« sagte Clara. »Erinnerst du dich, wie wir nachts
zur Buche gelaufen sind, um die Glühkäfer zu sehen? Da war es oft so still,
dass ich geglaubt habe, den Wald atmen zu hören. War das nicht romantisch!«
Pedro
nickte. Für diese Erlebnisse liebte er Clara, und er verlor sich im Grün ihrer
Augen, das dunkler wirkte, wenn sie traurig war, wie gerade eben.
»Es ist
alles so fremd geworden«, sagte sie und holte tief Luft. »Früher war die Stille
lebendig, jetzt ist sie tot, als wäre alles, was lebt, in ein Leichentuch
gehüllt.«
Ihm konnte
sie so etwas sagen. Er verstand sie.
»Die
Geräusche haben mir Sicherheit gegeben, weißt du, Pedro. Das merke ich jetzt,
wo sie weg sind. Ich habe Angst, dass mir der Boden unter den Füssen
wegrutscht. Geht dir das auch so?«
Er seufzte.
Ja, ihm ging es genauso. Er nahm ihre Hand und spielte zärtlich mit ihren
Fingern. Es war das erste Mal, dass er sich das traute. Und sie ließ es zu. Ihr
Herz pochte schneller dabei. Ob er das hörte? Er hob die Augen und sah sie an,
als wollte er sie nie mehr loslassen. Auch sein Herz ging hörbar schneller.
Leise
begann er eines ihrer Lieblingslieder zu summen, und Clara stimmte den
Klaviersound dazu an, sie zauberte alle Geräusche, die sie liebten, mit ihrem
Mund herbei. Es dauerte nicht lange, da versammelten sich die Nachbarn an ihrem
Gartenzaun
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