Gérards Heirat
als reiche, in der Gegend einflußreiche Leute verlieh, zu erkennen waren. Gérard von Seigneulles war einer der letzten Ankömmlinge; er war allein, da der Baron den Grundsatz hatte, nie später als neun Uhr zu Bett zu gehen. Er warf einen raschen Blick auf die Reihe der Tänzerinnen; Helene befand sich nicht unter ihnen, und unwillkürlich zeigte Gérards Gesicht seine Enttäuschung. Das Orchester gab das Zeichen zu einem Kontertanz und der junge Mann forderte, nach dem ausdrücklichen Befehl seines Vaters, Georgine dazu auf. Sie hatte dies übrigens auch erwartet und ihm diesen Tanz aufgehoben; wenn sie aber gehofft hatte, die Musik und die Belebung des Balles würden ihren Tänzer aus seiner gewöhnlichen Zurückhaltung heraustreiben,so hatte sie sich getäuscht. In den Pausen zwischen den verschiedenen Touren des Tanzes schleppte sich die Unterhaltung so träge wie möglich hin. Gérards Blicke wandten sich keinen Augenblick von der Thüre ab, und die Lippen öffnete er nur, um unbedeutende, einsilbige Antworten zu geben, Fräulein Georgine kehrte sehr enttäuscht auf ihren Platz zurück.
Die Menge begann wieder in den Billardsaal zurückzuströmen. Die ersten Präsentierbretter mit Punsch hatten die Herzen gelöst und das Eis gebrochen. Die Männer bewegten sich heiter zwischen den Sesseln der Damen, die, sich zierend, den Duft ihrer Blumensträuße einatmeten. Die jungen Mädchen hatten unter sich Gruppen gebildet und flüsterten hinter ihren Fächern.
Die Tänzer gingen von einer Gruppe zur anderen, murmelten eine Aufforderung zum Tanz und gingen dann an die Thürpfosten zurück, wo sie sich die getroffenen Verabredungen aufschrieben. Das fröhliche Summen lustiger Stimmen, vermischt mit dem Rauschen der Stoffe, erfüllte den Raum. Der Gymnasiast Anatolius Grandfief saß auf einer gepolsterten Bank und dachte bei sich, daß ein Ball, im Vergleich zum Soldatenspielen, doch eigentlich ein sehr untergeordnetes Vergnügen sei; um sich zu zerstreuen, steckte er sich die Finger in die Ohren, die er auf diese Art abwechslungsweise auf- und zumachte, so daß er den eigentümlichen Gegensatz, der entstand, wenn all dieses Geräusch, durch eine künstliche Stille unterbrochen, plötzlich wieder in undeutlichen Tönen, ähnlich dem Rauschen des Meeres, zum Ausbruch kam, recht gründlich genoß. Plötzlich folgte dem Gesumme der Unterhaltung eine wirkliche Stille und alle Augen richteten sich auf die Thüre des Empfangszimmers, in der soeben Frau Laheyrard, von Marius und Helene begleitet, erschienen war.
Der Schulrat hatte Marius beauftragt, seine Stelle zu vertreten. Frau Laheyrard, in einem sehr tief ausgeschnittenenrosa Kleid, stützte sich stolz auf den Arm ihres Sohnes und bahnte sich einen Weg zur Frau des Hauses. Der Dichter war herrlich; sein üppiger blonder Bart ruhte auf einer weißen Halsbinde mit breiten, flatternden Enden, und er hatte bei dieser Gelegenheit eine himmelblaue Atlasweste eingeweiht, die gerechtes Aufsehen erregen mußte. Er wollte, wie er sagte, nicht für einen Notar gehalten werden, und diese blaue Weste war dazu bestimmt, die durchaus spießbürgerliche Einförmigkeit des Frackes und der schwarzen Beinkleider zu beleben. Helenens Anzug dagegen rief bei den Männern ein Murmeln der Bewunderung und bei den Frauen eifersüchtiges Stirnrunzeln hervor. Ein langes Gewand von weißer Gaze hob das Ebenmaß des Wuchses prächtig hervor; auf diesem duftigen, seidigen Gewebe schlang sich ein biegsamer Brombeerzweig mit Blüten und Früchten, von der Schulter ausgehend, schräg über die Brust bis auf den Rock, dessen Falten leicht mit ihm aufgenommen waren. Auf der Schulter, am Ausgangspunkt dieses Gewindes, entfaltete ein Schmetterling seine himmelblauen Flügel. Ein ähnlicher Zweig, wie der am Kleide, hielt die prächtigen blonden Locken, die halb herabfielen, nachlässig zusammen. Des Eindrucks sicher, den diese einfache und doch ausgesucht feine Toilette machen mußte, blickten die braunen Augen ohne falsche Bescheidenheit und doch auch ohne gemachte Sicherheit nach rechts und nach links, und mit einer Ungezwungenheit und einer eleganten Schmiegsamkeit, welche die Eifersucht der Umgebung aufs Aeußerste steigerte, setzte sich das anmutige Mädchen neben seine Mutter. Im Handumdrehen und wie auf stillschweigende Übereinkunft machte sich eine Rückzugsbewegung in den benachbarten Gruppen bemerklich, so daß die neuen Ankömmlinge allein saßen.
Die Mutter des Gymnasiasten Anatolius, die mit
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