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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Theuriet
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voll Schrecken.
    »Sollte ich mich getäuscht haben?« fuhr er mit einem Anklang von Bitterkeit fort; »haben Sie mich nicht trotz meiner geringen Herkunft herzlich aufgenommen? Haben Sie mir nicht Ihre Gedanken und Ihre Sorgen anvertraut wie einem Freunde?«
    »Ja, als dem Gefährten mancher langweiligen und einsamen Stunde!«
    »Nicht wie dem, der Ihr Begleiter für Ihr ganzes Leben werden könnte?«
    »Für mein ganzes Leben?« rief Helene. »Nein, daran habe ich nie gedacht!«
    Er biß sich in die Lippen. »Aber,« begann er wieder mit einer gewissen Schärfe, »haben Sie sich auch nie überlegt, daß wenigstens meine Gedanken sich so weit versteigen könnten? Wenn Sie so freundlich mit mir sprachen, wenn wir zusammen sangen, wenn Sie mir die Hand drückten, haben Sie nie daran gedacht, daß dieser vertrauliche Verkehr Hoffnungen in mir erwecken könne, ja mir sogar gewisse Rechte geben?«
    »Rechte?« sagte sie lebhaft. »Sie haben sich seltsam geirrt, mein Herr, ich liebe Sie nicht!«
    Stumm blieb er ihr gegenüber stehen und blickte sie groß und vorwurfsvoll an. Sie fürchtete, zu hart gewesen zu sein und fuhr in ruhigerem Tone fort: »Wenn meine Unbedachtsamkeit und mein vertrauliches Benehmen Sie veranlaßt haben, das für Liebe zu halten, was nur freundliche Kameradschaft war, so bedaure ich dies von ganzem Herzen und bitte Sie, mir zu verzeihen.«
    Ihr Herz war in der That voll Mitgefühl und Thränen glänzten in ihren Augen. Allein Frank Finoël war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, seine Eigenliebe war zu tief verwundet, als daß er den aufrichtigen Ton des jungen Mädchens hätte verstehen können. – »Ich habe mich nicht so sehr getäuscht, wie Sie sagen,« rief er mit erhobener Stimme, »sondern es hat sich in den letzten vierzehn Tagen etwas ereignet, was Ihr Herz verwandelt und Ihren Gedanken eine andere Richtung gegeben hat. Ich brauche nicht weit zu suchen, um dieses Geheimnis zu entdecken.«
    »Sie werden beleidigend,« sagte sie ärgerlich über die Beharrlichkeit Finoëls, »ich verstehe Sie nicht und will nichts weiter hören!«
    Sie wandte sich nach der Thüre, allein der kleine Bucklige hatte sich vor sie gestellt und versperrte ihr den Weg.
    »Sie werden mich trotzdem zu Ende hören,« entgegneteer heftig und schleuderte zornige Blicke auf sie. »Ich bin nicht so leicht anzuführen und habe wohl erraten, daß Ihnen der Name ›von Seigneulles‹ besser gefällt als ›Finoël‹; allein, wenn ich mich getäuscht habe, so mögen Sie Ihrerseits zusehen, daß Sie sich nicht gewaltig verrechnen. Der schöne Gérard wird Sie ins Gerede bringen, das ist alles, was diese Art Menschen zu thun versteht!«
    »Sie werden unverschämt!« rief Helene. Heftiger Zorn erfüllte sie; ihre Lippen erblaßten, ihre Augen blitzten voll Entrüstung. Sie griff nach dem Hut, den Finoël auf einen Tisch gelegt hatte, warf ihm denselben in die Hände und öffnete, wahrend der kleine Bucklige vor ihren verächtlichen Blicken zurückwich, weit die in die Flur führende Thüre und sagte mit bebender Stimme: »Leben Sie wohl,« und als der verblüffte Finoël unbeweglich blieb, wiederholte sie heftig auf den Boden stampfend: »Gehen Sie! Gehen Sie!«
    Er stürzte wütend aus dem Hause und stieß auch noch auf seinen Nebenbuhler, der gerade über die Straße kam; seine Verzweiflung wurde dadurch vollends auf die Spitze getrieben. Finoël warf ihm einen giftigen Seitenblick zu, der bei Gérard ein ähnliches Unbehagen erregte, wie man es dem magnetischen kalten Blick der Klapperschlange zuschreibt.
    Es begann zu regnen; der Bucklige nahm den Hut ab und fühlte mit Wollust die kühlenden Tropfen auf seiner brennenden Stirne. Er trat in sein armseliges Junggesellenzimmer, stützte die Arme auf den Tisch und nun konnte er endlich dem Ausbruch seines Hasses und seiner Wut vollen Lauf lassen. Seine kränklichen Züge verzerrten sich, und die zuckenden Finger wühlten krampfhaft in den schwarzen Haaren. So war während dieser unseligen Woche seine Eigenliebe zweimal tödlich verletzt worden: durch die Weigerung Frau Grandfiefs, ihn nach Salvanches einzuladen und durch Helenens Geringschätzung. Zwei herbe Schläge hatten ihn wiederum die Stufen hinabgestürzt, die sein ehrgeiziger Wille so mühsam erklommen hatte. Nun konnte er wieder von vorne anfangen;er fühlte sich von einer fieberhaften Entmutigung befallen. In ihm tobte ein Sturm von Groll und Aerger, und wie ein Echo seiner Verzweiflung strömte draußen der

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