Gérards Heirat
müssen.«
»Machen Sie mir keine Vorwürfe,« bat er so flehend, daß sie entwaffnet war. »Der in Salvanches verlebte Nachmittag hat meine Nerven in einen ganz kläglichen Zustand versetzt ... Spielen Sie mir ein wenig Mozart, um sie zu beruhigen!«
Sie setzte sich ans Klavier und begann eine Sonate zu spielen. Gérard hatte sich neben sie gesetzt und genoß in vollen Zügen das Glück, sie beim Scheine der im Abendwind flackernden Kerzen betrachten zu können. Er verfolgte die Wellenlinien der blonden Locken, die auf das Kleid aus ungebleichter Leinwand herabfielen, die Bewegungen der langen braunen Wimpern, die sich hoben und senkten, das durchgeistigte Profil und das Hin- und Hergleiten der weißen Hände auf den Tasten.
Der Regen rauschte auf die Bäume im Garten hernieder und begleitete in tiefen, besänftigenden Tönen die helleren Klänge des Klaviers. Nur die Ecke, in der sie saßen, war erleuchtet; der übrige Teil des Ateliers war in geheimnisvolle Dämmerung gehüllt, die ihr vertrauliches, inniges Alleinsein noch anziehender machte. So verbrachten sie zwei schöne Stunden, fast ohne miteinander zu sprechen. Sie lauschten dem Gesange, den die junge Liebe in ihren Herzen anstimmte, und dieser magische innere Gesang vermischte sich so schön mit der süßen Musik Mozarts, daß er genügte, sie zu beschäftigen. Diese Liebe, die sich ihm so wunderbar erschlossen hatte, gewährte Gérard ein immer neues Entzücken. Er hatte so lange der Zärtlichkeit entbehren müssen und war so lange von unbestimmtem Sehnen und Verlangen erfüllt gewesen! Jetzt hatte sich die Leidenschaft seiner ganz bemächtigt und hielt Körper und Geist, Kopf und Herz ganz in ihrer Gewalt.
Er befand sich in stürmischer Gärung und glich dem neuen Most in der Bütte, der mehr Schaum als Gehalt, mehr Trieb als Stärke hat.
Er liebte Helene mit dem ganzen Feuer seiner dreiundzwanzig Jahre und bewunderte alles an ihr: die eigenwillig herabwallenden Goldhaare und den schalkhaften, schwärmerischen Geist, die gewinnende Anmut ihres Wesens und die zarten Wellenlinien ihres Halses, das Lächeln der leichtgeschürzten Lippen, den tiefen Zauber ihrer braunen Augen und die Güte ihres Herzens.
Helene fühlte sich ihrerseits zu ihm hingezogen durch jenen geheimnisvollen Einfluß, der zwei entgegengesetzte Elemente zu einander zieht. Der jungen Pariserin, die in dieser skeptischen, eleganten und oberflächlichen Umgebung aufgewachsen war, gefiel Gérard gerade durch die Eigenschaften, die im Gegensatz zu der Pariser Civilisation stehen; durch seinen festen Glauben, durch sein kindliches Erstaunen und durch jene frische Begeisterung, die dem Geist jenen Reiz verleiht, den der zarte Duft den Früchten gibt, die er umhüllt.Durch eine angeborene Anmut, die er vielleicht dem geheimnisvollen Einfluß des Blutes und der Abstammung verdankte, hatte sich der junge Mann in der spießbürgerlichen Gesellschaft des kleinen Städtchens die ganze Feinheit des Edelmannes, das ganze Zartgefühl eines hochgebildeten Geistes bewahrt. So kam es, daß Helene, sobald sie ihn gesprochen hatte, ihn zu lieben begann, so wie sie lieben konnte, mit der Lebhaftigkeit eines dem ersten Eindruck folgenden Naturells, mit dem Mut eines reinen, glühenden Herzens.
Acht Tage lang genossen sie ein ungetrübtes Glück. Die übrige Welt hatten sie vergessen und schwebten hoch über ihr. Von Liebesglück erfüllt, begingen sie große Unvorsichtigkeiten, die an und für sich ganz unschuldig waren, die aber die Gesellschaft einer kleinen Stadt nicht verzeiht. Sie gingen in Begleitung der beiden Kinder durch die Weinberge hinaus in die Brachen und durchstreiften diese, um ein landschaftliches Motiv zu suchen. Wenn sie dann eine nach Wunsch gelegene Landschaft gefunden hatten, öffnete Helene ihre Farbenschachtel, richtete ihre Leinwand her und begann zu malen, während Gérard ihr vorlas. Frau Laheyrard, die ihre Tochter im Geist schon mit Herrn von Seigneulles verheiratet sah, legte diesen abenteuerlichen Streifzügen kein Hindernis in den Weg.
Sie hatte Helene nie ängstlich bewacht, und die Aussicht auf eine vornehme Heirat schmeichelte ihrer Eitelkeit zu sehr, als daß sie daran gedacht hätte, die Rolle eines Mentors zu spielen. Sie nährte die ehrgeizigsten Hoffnungen und baute auf Grund dieser künftigen Verbindung die schönsten Luftschlösser. Sie war nahe daran, das bißchen Verstand, das sie überhaupt besaß, vollends ganz zu verlieren, und scheute sich durchaus nicht,
Weitere Kostenlose Bücher