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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Theuriet
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getragen, der nach Juvigny zu fuhr. Während der Fahrt glaubte er zu bemerken, daß ein starker Wind wehe und die Bäume ihn im Vorüberfahren grüßten. Der Wagen hielt vor dem Hause des Schulrates und der Dichter wurde, von denselben menschenfreundlichen Armen unterstützt, in sein Zimmer hinausgeschafft und angekleidet auf sein Bett gelegt. Alle Möbel drehten sich mit schwindelerregender Schnelle um ihn herum. Er schloß die Augen und verlor das Bewußtsein.

Vierzehntes Kapitel.
    Alle Gäste waren so munter, daß Marius' Mißgeschick fast unbemerkt blieb. Man hatte den Kaffee herumgereicht, und die Köpfe begannen sich zu erhitzen. Die Damen erhoben sich und zerstreuten sich auf der Wiese; bald saßen nur noch hartgesottene Jäger um die Tafel, die ihre Pfeifen rauchten und sich ihre Erlebnisse mit jener lauten Mitteilsamkeit, welche die Folge eines guten Frühstückes zu sein pflegt, in die Ohren schrieen. Ein jeder fühlte den Einfluß der guten Bewirtung. Junge Leute hatten einen Tanz auf der Wiese veranstaltet; sogar Frau Grandfief, die zuerst nachdenklich geblieben war, schien plötzlich aufzutauen. Ihre Strenge verlor sich allmählich, ihre schmalen Lippen lächelten und in ihren Augen glänzte eine milde Heiterkeit. Sie war es auch, die die einzige Belustigung vorschlug, welche all diesen heißen Köpfen, all diesen ungeduldigen Füßen zusagen konnte. »Wir wollen ›das Thor des heiligen Nikolaus‹ spielen und auf diese Weise irgendwohin spazieren gehen; wir wollen ein Ziel wählen.«
    Das »Thor des heiligen Nikolaus« ist ein in Lothringen allgemein bekanntes Spiel. Die Spieler reichen sich die Hände und bilden eine Kette, an der ein jeder Ring von einem Herrn und einer Dame gebildet wird; die beiden Anführer, die an der Spitze stehen, reichen sich die Hände und halten dieselben so über den Kopf, daß sie eine Art kleinen Bogen bilden. – »Ist das Thor des heiligen Nikolaus offen?« ruft die übrige Gesellschaft im Chor, und auf die bejahende Antwort schlüpft die ganze Reihe rasch hintereinander, Rundgesänge singend, durch diesen schnell hergestellten Bogen. Die jungen Leute am äußersten Ende kommen so an die Spitze und bilden nun ihrerseits einen Bogen, und so schlängelt sich der lange Zug weiter, solange er Raum vor sich hat.
    Der Vorschlag der Frau Hüttenbesitzerin wurde mit Begeisterung angenommen; man begann zu beraten, wohin man gehen wolle. Die einen nannten die »Buche der Jungfrau«, die anderen die »Klause des heiligen Rochus«.
    »Nein,« sagte Frau Grandfief in befehlendem Ton, »wir gehen zum Höllengrund, der Weg ist viel hübscher.«
    Man reichte sich die Hände, die Rundgesänge wurden angestimmt, und die lange Reihe setzte sich in Bewegung.
    Es war ein reizender Anblick, wie diese behende, geschmeidige Kette sich entrollte und den Windungen des Weges folgte. Die Arme bewegten, die Füße tummelten sich, die fliegenden Gewänder streiften leicht die Farnkräuter am Wege, fröhliches Lachen erklang ... Bald war der ganze Zug im Gebüsch verschwunden.
    Die Mittagsstunden entflohen ... Unter den Buchen im Höllengrund, neben der murmelnden Quelle hatten sich Gérard und Helene wie gewöhnlich getroffen.
    Das junge Mädchen hatte wohl Leinwand und Pinsel mitgebracht, berührte sie aber kaum; sie folgte mit trübem Blick den ersten fallenden Blättern, die in leichtem Wirbel in den Bach hinabglitten.
    »Sie sind bekümmert,« sagte Gérard zu ihr, »woran denken Sie?«
    »An uns,« antwortete sie ernst.
    »Und das macht Sie traurig! Sind wir denn nicht glücklich?«
    »Werden mir es noch lange sein? Ich habe ein Vorgefühl, daß man uns verdächtigt und ausspioniert. Als mir uns das letzte Mal getrennt hatten, begegnete ich dieser Nähterin, der kleinen Regina, und an der Art, wie sie mir ins Gesicht starrte, merkte ich, daß sie etwas ahnt.«
    »Bedauern Sie, gekommen zu sein? ...«
    »Nein,« antwortete sie lebhaft; »wenn ich Angst habe, so habe ich sie nicht für mich ... Ich denke an meinen guten Vater, dessen Stellung erschüttert wäre, wenn unsereZusammenkünfte entdeckt würden und ein Skandal daraus entstände.
    »Sie haben recht,« seufzte Gérard, »und ich bin ein Egoist.« – Auch er war nachdenklich geworden, »Die Sache kann so nicht weiter gehen,« sagte er auf einmal leidenschaftlich; »ich liebe Sie, ich bin Herr meiner selbst, und ich werde meinen Vater zur Vernunft bringen ...«
    Helene machte große Augen; ihr halb ungläubiger, halb verwunderter Blick

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