Gérards Heirat
schien zu fragen, wie er dies denn anfangen wolle.
»Ich werde ihn noch einmal bestürmen,« fuhr Gérard fort, »und wenn er unbeugsam bleibt, werde ich ihm drohen, das Haus zu verlassen.«
Das junge Mädchen schüttelte den Kopf, ein Lächeln spielte um ihre Lippen.
»So wie Sie mir ihn geschildert haben, wird er Sie ruhig gehen lassen, – und dann?«
»Dann werde ich warten, bis ich fünfundzwanzig Jahre alt bin und ihm dann die gerichtliche Anfrage zukommen lassen.«
Helenens Brauen zogen sich zusammen.
»In diesem Fall werde ich zurücktreten,« antwortete sie stolz, »ich werde mich nie in eine Familie eindrängen, deren Haupt mich abgewiesen hat.«
Gérard war entmutigt; er vermochte kaum zu sprechen, so schnürte ihm der Kummer die Kehle zusammen. Helene bemerkte es und ward gerührt; sie bemühte sich, heiter zu scheinen, reichte ihm die Hand und sagte: »Bah! wir wollen an nichts Trauriges mehr denken ... Warum sollen wir unseren Nachmittag damit verlieren, daß wir uns quälen? Sehen Sie, wie die Schlucht immer schöner wird, je mehr sich die Sonne neigt ... Es ist so gut hier; ich möchte diese Landschaft ganz in mich aufnehmen, um sie niemals wieder zu vergessen!«
Ihre Augen schweiften langsam über die bewaldetenAbhänge, auf die der Schatten immer dichter herabsank, über die Brombeersträucher voll Früchten und über die Wiesen, auf denen schon die Herbstzeitlose blühte. Während all dieser Zeit war ihre Hand in der Gérards geblieben; sie saßen schweigend nebeneinander, und über der ganzen Gegend ringsum lag die sanfte Ruhe der letzten schönen Tage, Helene und Gérard fühlten sich von jener unbestimmten Sehnsucht ergriffen, die der Herbst so leicht auch in gestählteren Herzen erregt. Sie hielten sich fest bei den Händen und tauschten lange, zärtliche Blicke aus. Nur abgerissener, undeutlicher Gesang und lautes Lachen, das weit aus der Ferne herübertönte, störte den Frieden ihrer Einsamkeit; aber in dieser Jahreszeit, während der Ferien, waren diese fröhlichen Klänge in den Wäldern etwas so Natürliches, daß die beiden Liebenden ihrer nicht achteten. Der Wald ringsumher lag schweigend und in dieser Stille ließ ein Rotkehlchen sein zärtliches Liedchen gedämpft erklingen. Gérard fühlte sich von den braunen Augen Helenens wie von einem Magnet angezogen; schon neigte sich sein Haupt zu dem des Mädchens hin, schon war er im Begriff, den ersten Kuß auf die klaren, unwiderstehlich anziehenden Sterne zu drücken, als laute Stimmen ertönten, die diesen Kuß auf den überraschten Lippen zurückhielten ..., und sich plötzlich die lange Kette des »Sankt Nikolaus-Thores«, Frau Grandfief an der Spitze, stürmisch von einem Abhang in die Schlucht herabwälzte. Das wirkte wie ein Blitzstrahl. Die überraschten jungen Leute waren sich noch gar nicht klar darüber, was geschah, als sich schon die ganze fröhliche Gesellschaft am Bach zerstreute. Auf Gesang und Gelächter folgte plötzlich eine feierliche Stille; man hatte die beiden Liebenden erkannt. Helene hatte sich, rot vor Verlegenheit, über ihre Skizze gebeugt; Gérard hatte sich erhoben und stand bleich, mit zusammengepreßten Lippen, neben ihr. Die Ankommenden, die in der Mehrzahl auf eine solche Begegnung nicht gefaßt waren, schienen ebenso verlegen zu sein wie die Ueberraschten; Frau Grandfiefallein verlor ihre Kaltblütigkeit nicht. Sie ging an dem unglücklichen Gérard vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen; dann wandte sich die unbarmherzige Dame mit spöttisch höflicher Miene an Helene und sagte: »Wir stören Sie, Fräulein,« Sie warf einen Blick auf die kaum bemalte Leinwand und fuhr fort: »Es ist sehr hübsch, was Sie hier machen ...«
Ohne sich weiter um Helenens Lage zu kümmern, sagte sie zu ihren Begleitern: »Wir wollen unseren Spaziergang fortsetzen und Fräulein Laheyrard ihren Beschäftigungen überlassen!«
Sie schlug einen Fußpfad ein, der in den Wald hineinführte, und die ganze Reihe von Damen und jungen Herren folgte ihr, jedoch nicht ohne den beiden Schuldigen boshafte Blicke zugeworfen und sich gegenseitig durch Zeichen auf ihr verstörtes Aussehen aufmerksam gemacht zu haben. Kaum war der Schwarm vom Gehölz verdeckt, so brach das Hohngelächter los und die Unterhaltung kam wieder in Fluß; der Wind trug die grausame Entgegnung Frau Grandfiefs: »Bah, es ist ein Glück für sie; jetzt ist sie kompromittiert und hat einen Grund, ihn zum Heiraten zu zwingen,« bis zu Helenens
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