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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Theuriet
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wissen, ob er nicht vielleicht einstens mit einem von den nutzlosen häuslichen Kämpfen ermatteten und verbitterten Herzen dahin gelangte, zu beklagen, daß er Helenen begegnet war und sie geliebt hatte. Nein, tausendmal nein, er sollte nicht dahin kommen, sie zu verwünschen, und die Rolle einer Friedensstörerin widerte sie an. Es war besser, wenn sie verschwand. War sie ferne von Juvigny, so würde sie vergessen und auch bald über den Auftritt im Höllengrund nicht mehr gesprochen werden, und Herr Laheyrard wäre nicht mehr in der Gefahr, seine Stelle zu verlieren. – All diese Gründe wiederholte sie sich, während die sinkende Sonne ihre letzten Strahlen schräg in das Zimmer warf und das Schnarchen des unfreiwilligen Anstifters dieses traurigen Ereignisses durch die Zwischenwand drang. Ihre alte Pensionsvorsteherin in der Rue de Vaugirard, hatte ihr öfters vorgeschlagen, als Zeichenlehrerin bei ihr einzutreten. Helene schrieb ihr in der Eile einige Worte, um ihre Ankunft anzukündigen und sie um Gastfreundschaft zu bitten; dann brachte sie den Brief selbst zur Post.
    Als sie zurückkam, war sie ruhiger und weniger unzufrieden mit sich selbst. Mit achtzehn Jahren hat man eine Leidenschaft für Hingebung und Aufopferung. Helene begann auf der Stelle, die Vorbereitungen zu ihrer Abreise zu treffen. Sie leerte alle Laden aus und packte alle die kleinen, ihr liebgewordenen Gegenstände ein: die blühende Brombeerranke, die sie auf dem Balle in Salvanches getragen, die Lieblingsbücher, die sie mit Gérard gelesen, zwei oder drei getrocknete Blumen, die er für sie gepflückt hatte, dann ihre bescheidenen Kleidchen, die so billig und doch stets so geschmackvoll waren. »Ja,« dachte sie, wahrend sie all diese Gegenstände in den verschiedenen Abteilungen des Koffers unterbrachte, »so wird ihm wenigstens, wenn er meiner gedenkt,keine Bitterkeit die sanfte Erinnerung trüben, er wird mich immer wieder sehen, wie ich auf dem Ball von Salvanches war, er wird es nicht bedauern, mich gekannt zu haben und mir in einem Winkel seines Herzens ein freundliches, ungetrübtes Andenken bewahren ... Diese Gewißheit wird mich in der Ferne trösten, wenn ich von meinem Vater und ihm getrennt, unter Fremden leben werde.« – Das Haus lag in tiefer Ruhe; nur von draußen drang noch fernes Wagenrollen und das tiefe Ticktack eines Webestuhles herein. Der Koffer war voll; Helene wischte eine Thräne ab, schloß den Deckel und entkleidete sich mit dem Gedanken, daß dies die letzte Nacht sei, die sie unter dem Dache ihres Vaters zubringe.

Fünfzehntes Kapitel
    Am anderen Morgen bei Tagesanbruch begann der bleischwere Schlaf, der Marius achtzehn Stunden lang an sein Bett gefesselt hatte, langsam zu weichen. Der Dichter erwachte mit trockenem Mund und schwerem Kopf und bemerkte, daß sein Bett nicht aufgedeckt und er in den Kleidern eingeschlafen war. Er rieb sich die Augen, öffnete das Fenster und tauchte sein Haupt in kaltes Wasser, und als ob dies eine plötzliche Verflüchtigung der Weindünste, die seinen Verstand umnebelt, bewirkt hätte, kehrte ihm die Erinnerung wieder zurück. Er sah plötzlich seine beiden Tischnachbarn mit dem schlauen Lachen, die bis zum Rand mit diesem heimtückischen, zwiebelfarbenen Wein gefüllten Gläser, die seltsamen Blicke Frau Grandfiefs wieder vor sich und erinnerte sich auch der eigentümlichen Art, in der die Unterhaltung auf Gérards Liebesangelegenheit gelenkt worden war. Es überlief ihn eiskalt. – »Dummes Vieh, das ich bin,« rief erund versetzte sich einen furchtbaren Schlag mit der Faust, »gewiß habe ich Unsinn geschwatzt!«
    Er suchte sofort seine Schwester im Atelier auf, wo sie damit beschäftigt war, ihre Pinsel und Farbenschachteln einzupacken. Er trat niedergeschlagen und ganz fassungslos ein, »Meine arme Helene,« begann er kleinlaut, »ich habe mich gestern betrunken wie ein Student und fürchte sehr, mehr geschwatzt zu haben als gut ist.« – Darauf berichtete er ihr von dem Frühstück. Je mehr er sprach, desto lebendiger wurden seine Erinnerungen und desto deutlicher wurde ihm sein unverzeihlicher Vorwitz.
    Helene reichte ihm die Hand.
    »Ja, Marius,« antwortete sie sanft, »du hast zu viel gesprochen und wir müssen alle darunter leiden.« Darauf berichtete sie ihm von dem Auftritt im Höllengrund und dem Benehmen der Frau Grandfief.
    Marius mußte sich setzen, die Kniee wankten ihm. »Esel! Schafskopf, der ich bin!« rief er und nahm sich selbst bei den Haaren,

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