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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Stimmt was nicht mit Ihren Augen?«
    »Alles in Ordnung.«
    Ich rieb mir die Schläfen und versuchte meinen Verstand für das zu öffnen, was auf mich zukam. Ich hatte mich schon früher zu besonderen Orten hingezogen gefühlt. Als Student hatte ich viele Reisen unternommen, und während mein üblicher Antrieb neugierige Wanderlust gewesen war, hatte es Augenblicke gegeben, da etwas Tieferes mich von meiner geplanten Route abgelenkt hatte.
    Während eines Besuchs der Oxford University beispielsweise war ich eines Morgens mit dem Gefühl erwacht, Stonehenge besuchen zu müssen – nicht nur, um es zu besichtigen, sondern um die Gegenwart der gewaltigen Steinblöcke zu spüren. Mein Begleiter versicherte mir, dass es nicht eilig sei – die Steine hätten seit fünftausend Jahren dort gestanden und würden sicherlich noch ein paar weitere Tage warten. Trotzdem mietete ich mir einen Wagen und fuhr nach Süden, bis ich Salisbury Plain erreichte. Nach Anbruch der Dunkelheit ging ich ganz allein zu dem uralten Steinkreis und tat, was Touristen nicht länger tun können: Ich ging im Mondlicht zwischen den Steinen umher und legte mich auf den Opferaltar. Ich war kein New-Age-Dilettant, sondern ein Medizinstudent von der University of Virginia, der einer geordneten beruflichen Karriere entgegensah. Und doch war dies nicht das einzige Mal, dass mir so etwas widerfuhr. Chichén Itzá zog mich auf die gleiche Weise an. Und auf einer Fahrt zum Grand Canyon wechselte ich die Richtung und campte stattdessen eine Woche in New Mexico im Chaco Canyon. In Griechenland war es Delphi statt Athen. Bei all diesen Begebenheiten hatte ich so etwas wie einen äußeren Einfluss verspürt, als würde jemand mich zu einem ganz bestimmten Ort rufen.
    Was ich nun empfand, war anders. Es war ein tief empfundener Wunsch, nach Jerusalem zu reisen, ganz gleich, welcheKonsequenzen es nach sich ziehen mochte. Es spielte keine Rolle, dass die Stadt ein heiliger Ort für drei große Religionen war. Ich hatte nichts gemeinsam mit den Millionen von Gläubigen, die Pilgerfahrten in das Heilige Land unternahmen. Ich spürte lediglich, dass die Stadt Antworten für mich bereithielt, Antworten, die ich nirgendwo sonst auf der Welt finden konnte.
    »Wohin fahren wir jetzt?«, fragte Rachel gereizt.
    »Israel«, antwortete ich.
    »Was?«
    »Jerusalem.«
    »David …«
    »Es ist, weil …«
    »Sagen Sie nichts. Es ist wegen Ihrer Halluzinationen, richtig?«
    »Ja.«
    Sie streckte die Hand aus, fasste mich am Kinn und drehte meinen Kopf zu sich; dann sah sie mir tief in die Augen. »David, wir werden von Leuten verfolgt, die uns töten wollen. Die Regierung versucht uns zu töten. Sie hatten Halluzinationen, aus Gründen, die wir nicht verstehen, zugegeben, doch es ist möglich, dass sie Ihr Gehirn geschädigt haben. Und nun wollen Sie sich tatsächlich von diesen Halluzinationen leiten lassen, um Ihr Leben zu retten?«
    »Wer versucht, sein Leben zu retten, wird es verlieren.«
    »Was?«
    Ich hob die Hände und drehte die Handflächen nach oben. »Ich sage nicht, dass es uns das Leben retten wird. Ich sage, wenn ich schon gejagt werde und wenn man mich tötet, dann möchte ich lieber, dass es geschieht, während ich die Bedeutung von etwas herauszufinden versuche, von dem ich überzeugt bin, dass es eine Bedeutung hat.«
    »Sie glauben tatsächlich, dass Ihre Halluzinationen eine Bedeutung haben?«
    »Ja.«
    »Aber wieso?«
    »Ich kann es nicht mit Logik erklären. Es ist einfach so, dass ich es weiß. Wie ein Vogel, der zum ersten Mal nach Süden fliegt.«
    Sie seufzte wie eine entnervte Mutter, die mit ihrem Kind redet. »Versuchen Sie es wenigstens, David, ja? Erklären Sie es mir.«
    Ich schloss die Augen und suchte nach Worten, um das Unerklärliche zu erklären. »Ich habe das Gefühl, als wäre ich auserwählt.«
    »Für was?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Auserwählt von wem?«
    »Gott.«
    »Gott? Dem Gott?«
    »Ja.«
    Rachel atmete tief durch und verschränkte die Hände im Schoß. Sie hatte sichtlich Mühe, ruhig zu bleiben. »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass Sie mir von diesen jüngsten Halluzinationen erzählen, David. Worum ging es dabei? Träumen Sie noch immer, Sie wären Jesus?«
    »Ja.«
    »Und was ist an Ihren jüngsten Visionen anders als an den älteren? Warum haben Sie nicht mit mir darüber gesprochen?«
    Wir waren an der Grenze zwischen geistiger Gesundheit und Gummizelle angelangt. Ich war froh, dass wir in einem Truck auf dem Highway

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