Geraubte Erinnerung
Sie, Thomas?«
»Normale Hintergrundgeräusche. Einen Fernseher. Schlagen und Klappern.«
»Haben Sie den Anruf von Mrs Fielding mitverfolgen können?«
»Ja, aber es ist schwer, diesen chinesischen Kram zu verstehen.«
»Sind Sie außer Sicht?«
»Ich parke in der Auffahrt eines Nachbarn, der derzeit nicht in der Stadt ist.«
»Tennant wird in fünf Minuten bei Ihnen eintreffen. Er hat eine Frau bei sich, eine gewisse Dr. Rachel Weiss. Bleiben Sie an ihm dran.«
Geli schaltete ab, dann sagte sie deutlich: » JPEG . Weiss, Rachel.«
Auf ihrem Monitor erschien eine digitale Fotografie vonRachel Weiss. Es war ein Porträt, mit einem Teleobjektiv geschossen, als die Psychiaterin das Duke University Hospital verließ. Rachel Weiss war drei Jahre älter als Geli, doch Geli kannte diesen Typ. Sie kannte Mädchen wie Weiss aus ihrer Zeit in der Privatschule in der Schweiz. Streber. Die meisten von ihnen Juden. Sie hätte Weiss sofort als Jüdin erkannt, ohne einen Blick auf ihre Akte zu werfen oder ihren Namen zu wissen. Selbst mit modischer Sturmfrisur sah Rachel Weiss aus, als trüge sie das Gewicht der ganzen Welt auf den Schultern. Sie besaß dunkle Märtyreraugen, und trotz ihrer jungen Jahre hatten sich feine Fältchen um den Mund herum eingegraben. Sie war eine der besten jungianischen Analytikerinnen der Welt, und einen solchen Rang erreichte man nicht, ohne von seiner Arbeit besessen zu sein.
Geli war dagegen gewesen, Weiss hineinzuziehen. Es war Skow, der es erlaubt hatte. Skows Theorie lautete, dass man Probleme herausforderte, wenn man die Leine zu straff hielt. Doch es war Gelis Kopf, der rollen würde, falls es eine Lücke in der Sicherheit gab. Um dieser Möglichkeit zuvorzukommen, hatte Geli Mitschriften von Weiss’ Sitzungen mit Tennant sowie Aufzeichnungen sämtlicher Telefongespräche, die die Psychiaterin führte. Einmal pro Woche schlüpfte einer von Gelis Agenten in das Büro von Rachel Weiss und fotokopierte Tennants Akte, um ganz sicher zu sein, dass Gelis aufmerksamem Blick nichts entging.
Das war der Ärger, mit dem man zu rechnen hatte, wenn man mit Zivilisten umging. In Los Alamos war es das Gleiche gewesen, damals beim Manhattan Project. In beiden Fällen hatte die Regierung versucht, eine Gruppe begabter Wissenschaftler zu kontrollieren, deren Ignoranz, Halsstarrigkeit oder ideologische Einstellung die größte Gefahr für ihre eigenen Arbeiten darstellte. Wenn man die klügsten Köpfe der Welt rekrutierte, bekam man eben solche Spinner.
Tennant war einer von ihnen, ohne Zweifel. Genau wie Fielding. Oder Ravi Nara, der Nobelpreisträger und Neurologe vonProject Trinity. Alle sechs führenden Köpfe von Project Trinity hatten unterschrieben, sich den strengsten nur denkbaren Sicherheitsvorschriften zu unterwerfen, glaubten aber trotzdem, alles tun zu können, wozu sie Lust hatten. Für sie war die Welt ein einziges Disneyland. Am schlimmsten waren die Mediziner. Selbst in der Armee hatten die Regeln für Ärzte scheinbar nie wirklich gegolten. Heute Nacht würde Tennant die Grenze weit genug überschreiten. Die heutige Nacht würde ihn den Kopf kosten.
Gelis Headset piepste. Sie drückte einen Knopf und stellte die Verbindung zu ihrem Agenten vor Tennants Haus her. »Was gibt’s?«
»Ich bin drin. Sie werden es nicht glauben, aber irgendjemand hat Malerspachtel in die Löcher über den Mikrofonen geschmiert.«
Geli spürte ein merkwürdig taubes Gefühl in der Brust. »Woher konnte Tennant wissen, dass wir Mikrofone in seinem Haus haben und wo sie sind?«
»Ohne Scanner? Keine Chance.«
»Ein Vergrößerungsglas?«
»Nur wenn er wusste, wo er danach suchen muss. Doch es hätte Stunden gedauert, und man kann nie sicher sein, dass man alle gefunden hat.«
Ein Scanner also. Wo zur Hölle soll ein Internist einen Scanner herholen? Dann dämmerte ihr die Antwort. Fielding. »Tennant hat die Lieferung von FedEx angenommen. Sehen Sie irgendwo einen Umschlag?«
»Nein.«
»Er muss ihn mitgenommen haben. Was sonst können Sie sehen? Irgendwas Ungewöhnliches?«
»In seinem Wohnzimmer steht eine Videokamera auf einem Stativ.«
Scheiße. »Ist ein Band eingelegt?«
»Warten Sie, ich sehe nach … nein, kein Band.«
»Was noch?«
»Ein Staubsauger hinter dem Haus, im Hof.«
Was hat das nun wieder zu bedeuten? »Ein Staubsauger? Nehmen Sie den Staubbeutel raus und bringen Sie ihn her. Wir lassen ihn per Helikopter nach Fort Meade zur Analyse bringen. Was
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