Geraubte Erinnerung
noch?«
»Nichts.«
»Sehen Sie sich ein letztes Mal gründlich um, und dann raus.«
Geli unterbrach die Verbindung, dann sagte sie laut: »Skow – zu Hause.«
Der Computer wählte die Nummer des Hauses in Raleigh, wo der Direktor von Project Trinity wohnte.
»Geli?«, fragte Skow. »Was gibt’s?«
Geli Bauer musste immer an Kennedy denken, wenn sie die Stimme von John Skow hörte. Skow war ein dünkelhafter Bostoner Intellektueller mit doppelt so viel Grips im Kopf wie gewöhnlich. Statt des für Leute seiner gesellschaftlichen Schicht üblichen geistes- oder rechtswissenschaftlichen Studiums hatte Skow Abschlüsse in Astronomie und Mathematik und war acht Jahre lang Deputy Director für Sonderprojekte bei der NSA gewesen. Sein hauptsächliches Verantwortungsgebiet war das streng geheime Supercomputer Research Center der NSA. Rein technisch gesehen war Skow Gelis Vorgesetzter, doch ihre Beziehung war stets angespannt gewesen. Bis auf die Tötung eines Menschen war Geli völlig unabhängig in ihren Entscheidungen und in ihrer Verantwortung für die Sicherheit von Project Trinity. Sie besaß diese Macht, weil Peter Godin – im Hinblick auf die immer wieder auftauchenden Sicherheitslücken in Regierungslabors – verlangt hatte, dass er sein eigenes Team zusammenstellen durfte, um Project Trinity zu schützen.
Der alte Mann hatte Geli aufgespürt, als sie im Begriff gewesen war, die Army zu verlassen. Geli war mit Herz und Seele Anhängerin der Kriegerkultur, doch sie konnte die aufgeblasene, bornierte Bürokratie der Army nicht länger ertragen, genauso wenig die grauenhaft niedrigen Qualitätsanforderungen an neue Rekruten. Als Godin bei ihr erschienen war, hatte er ihr einen Jobangeboten, wie sie ihn sich ihr Leben lang erträumt, von dem sie jedoch geglaubt hatte, dass er nirgendwo auf der Welt existierte.
Godin zahlte Geli siebenhunderttausend Dollar im Jahr dafür, dass sie als Sicherheitschefin für besondere Projekte bei Godin Supercomputing arbeitete. Das Gehalt war immens, doch Godin war Milliardär; er konnte es sich leisten. Gelis Arbeitsbedingungen waren einzigartig. Sie würde jedem Befehl Godins Folge leisten, ohne Fragen und ohne Rücksicht auf Legalität. Sie würde keinerlei Informationen über ihren Arbeitgeber, seine Gesellschaft oder die Art ihrer Tätigkeit nach außen dringen lassen. Falls sie gegen eine dieser Regeln verstieß, würde sie sterben. Geli durfte ihr eigenes Personal einstellen, doch es hatte die gleichen Bedingungen und Strafen zu akzeptieren wie sie selbst – und sie hatte für die Bestrafung zu sorgen. Geli war erstaunt, dass eine Persönlichkeit, die im Licht der Öffentlichkeit stand, solche Bedingungen zu diktieren wagte. Dann fand sie heraus, dass Godin sie über ihren Vater gefunden hatte. Das erklärte eine Menge. Geli hatte seit Jahren kaum mit ihrem Vater gesprochen, doch er war in einer Position, wo er eine Menge über sie in Erfahrung bringen konnte. Und daran, wie Godin sie ansah, erkannte sie, dass er einiges über sie wusste. Wahrscheinlich die Geschichten, die nach Desert Storm aus dem Irak nach Amerika gesickert waren. Peter Godin wollte eine Sicherheitsexpertin, doch er wollte auch einen Killer. Geli war beides.
Ganz anders hingegen John Skow. Im Gegensatz zu Godin, der in jungen Jahren in Korea als Marine gekämpft hatte, war Skow Theoretiker. Der NSA-Mann hatte noch nie Blut an den Händen gehabt, und in Gelis Gegenwart verhielt er sich wie jemand, dem man eine Leine mit einem Pitbull in die Hand gedrückt hatte.
»Geli?«, wiederholte Skow seine Frage. »Sind Sie noch da?«
»Dr. Weiss ist zu Tennant gefahren«, sagte sie in ihr Headset.
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Wir haben fast nichts von ihrer Unterhaltung auffangen können. Sie sind jetzt auf dem Weg zu FieldingsWitwe. Lu Li Fielding hat Tennant angerufen. Sie ist mit den Nerven am Ende.«
Skow schwieg für einen Augenblick. »Vielleicht will er die trauernde Witwe trösten?«
»Ich bin sicher, dass sie genau diese Geschichte nach außen erzählen.« Sie wollte zuerst Skows Besorgnis austesten, bevor sie ihm weitere Einzelheiten nannte. »Lassen wir sie zu ihr?«
»Selbstverständlich. Sie können alles mithören, was gesprochen wird, nicht wahr?«
»Nicht mit Sicherheit. Wir hatten ein Problem mit den Wanzen in Tennants Haus.«
»Was für ein Problem?«
»Tennant hat die Löcher mit Malerspachtel verschlossen. Und in seinem Wohnzimmer stand eine Videokamera auf einem Stativ.
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