Geraubte Erinnerung
Kein Band drin.« Sie wartete kurz, um ihre Worte wirken zu lassen. »Entweder wollte er etwas auf das Band sprechen, das wir nicht hören sollten, oder er wollte mit Dr. Weiss reden, ohne dass wir es mitkriegen. Wie dem auch sei, es ist nicht gut.«
Geli lauschte eine Weile Skows Atemzügen.
»Das ist in Ordnung«, sagte er schließlich. »Wir unternehmen nichts deswegen.«
»Dann wissen Sie wahrscheinlich mehr als ich, Sir?«
Skow kicherte angesichts der Verachtung, mit der sie das Wort »Sir« aussprach. Der NSA-Mann war auf seine Weise ein harter Brocken. Er besaß die entrückte Kälte mathematischer Intelligenz. »Das sind die Vorteile, wenn man Chef ist, Geli. Das heute Morgen war übrigens ziemlich gut von Ihnen. Ich war erstaunt.«
Gelis Gedanken wanderten zu Fieldings Leichnam. Die Beseitigung war glatt gelaufen, zugegeben, doch es war ein dummer Zug gewesen. Sie hätten Tennant gleich mit ausschalten sollen. Sie hätte beide Männer mit Leichtigkeit in den gleichen Wagen locken können, und dann … ein Unfall. Und das Projekt wäre nicht so gefährdet wie jetzt. »Hat Tennant tatsächlich mit dem Präsidenten gesprochen, Sir?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht. Also halten Sie sich fern. Behalten Sie die Lage im Auge, aber unternehmen Sie weiter nichts.«
»Er hat außerdem eine Lieferung von FedEx bekommen. Einen Brief. Was immer es war, er hat ihn mitgenommen. Wie müssen diesen Brief sehen.«
»Wenn es Ihnen gelingt, einen Blick darauf zu werfen, ohne dass er es bemerkt, meinetwegen. Ansonsten reden Sie mit FedEx und finden Sie heraus, wer diesen Brief abgeschickt hat.«
»Das tun wir bereits.«
»Sehr gut. Aber achten Sie darauf …«
Geli hörte, wie Skows Ehefrau nach ihrem Mann rief.
»Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte er und legte auf.
Geli schloss die Augen und atmete tief durch. Sie hatte sich an Godin persönlich gewandt, um die Genehmigung zu erhalten, Tennant zusammen mit Fielding auszuschalten, doch der alte Mann hatte es nicht erlaubt. Ja, stimmt, hatte Godin eingeräumt – Tennant hatte gegen Regeln verstoßen und gemeinsam mit Fielding Zeit außerhalb des Projekts verbracht. Ja – Tennant hatte Fieldings Anstrengungen unterstützt, das Projekt auf Eis zu legen. Und es waren Tennants Verbindungen zum Präsidenten, die die Suspension des Projekts zu einer Realität gemacht hatten. Doch es gab keinerlei Beweis, dass Tennant sich an der Kampagne des Engländers beteiligt hatte, das Projekt zu sabotieren, oder dass er Kenntnis von den gefährlichen Informationen besaß, über die Fielding verfügte. Und da Geli nicht wusste, um welche Informationen es sich dabei handelte, konnte sie auch das Risiko nicht einschätzen, das damit verbunden war, Tennant am Leben zu lassen. Sie hatte Godin an das Motto »Lieber Vorsicht als Nachsicht« erinnert, doch Godin hatte nur gelacht. Bald würde er es anders sehen. Schon sehr bald.
» JPEG , Fielding, Lu Li« , sagte sie mit deutlicher Stimme, und auf dem Monitor erschien das Bild einer schwarzhaarigen Asiatin: Lu Li Cheng, aufgewachsen in der Provinz Kanton im kommunistischen China. Vierzig Jahre alt. Hochschulabschluss in Angewandter Physik.
»Noch so ein Fehler«, murmelte Geli. Lu Li Cheng hatte nichts in den Vereinigten Staaten zu suchen, ganz zu schweigen vom inneren Zirkel des geheimsten wissenschaftlichen Projekts im ganzen Land. Geli berührte die Taste, die sie mit Thomas Corelli verband, dem Agenten im Wagen vor dem Haus der Witwe Fielding. »Irgendetwas Ungewöhnliches bei Ihnen?«
»Nichts.«
»Wie leicht können Sie Tennants Wagen durchsuchen, sobald er angekommen ist?«
»Kommt drauf an, wo er parkt.«
»Wenn Sie einen FedEx-Umschlag im Wagen sehen, machen Sie ihn auf, lesen Sie ihn und legen ihn wieder zurück. Und ich möchte eine Videoaufzeichnung ihrer Ankunft.«
»Kein Problem. Worauf soll ich achten?«
»Weiß ich nicht genau. Filmen Sie einfach.«
Geli nahm ein Päckchen Gauloises aus ihrem Schreibtisch, zog eine Zigarette hervor und brach den Filter ab. Im aufflammenden Licht des Streichholzes sah sie ihr Spiegelbild auf dem Computermonitor. Lange blonde Haare, hohe Wangenknochen, stahlblaue Augen und eine hässliche Brandwunde. Doch sie betrachtete das unansehnliche, weiße Narbengewebe auf ihrer linken Wange als genauso zu ihrem Gesicht gehörend wie ihre Augen oder den Mund. Plastische Chirurgie kam für Geli nicht in Frage. Narben hatten einen Zweck: ihren Träger an Wunden zu erinnern. Geli
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