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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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mir Interpretationen zu meinen Träumen an, doch im Gegensatz zu den NSA-Psychiatern, die ich besucht hatte, sprach sie nie in einem Tonfall der Unfehlbarkeit. Sie schien gemeinsam mit mir nach einer Bedeutung zu suchen und ermunterte mich stets aufs Neue, die Bilder selbst zu interpretieren.
    »David, Sie müssen nicht die ganze Nacht durch die Gegend fahren«, sagte sie. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus.«
    Richtig, dachte ich. Was ist schon dabei, wenn man Wahnvorstellungen von einer Regierungsverschwörung entwickelt? »Ein klein wenig Geduld«, antwortete ich. »Wir sind bald da.«
    Sie sah mich an, die Augen voller Skepsis. »Wie viel Geld bekommt man eigentlich für den Nobelpreis?«, fragte sie.
    »Ungefähr eine Million Dollar. Fielding hat etwas weniger bekommen als Ravi Nara, weil …« Ich verstummte, als ich erkannte, dass sie mich nur wieder getestet hatte – dass sie versucht hatte, meine »Wahnvorstellungen« zu punktieren.
    Ich konzentrierte mich auf die Straße in dem Wissen, dass Rachel in wenigen Minuten zugeben musste, dass meine Paranoia zumindest teilweise auf Fakten beruhte. Was würde sie dann denken? Würde sie endlich ihren Verstand für meine Interpretation meiner Träume öffnen, ganz gleich, wie irrational diese Interpretation erscheinen mochte?
    Nach unserer ersten Sitzung hatte Rachel argumentiert, ohne weitere intime Einzelheiten meiner Vergangenheit und meiner Arbeit könne sie meine »Halluzinationen« nicht interpretieren. Ich konnte ihr nicht viel erzählen. Fielding hatte mich gewarnt, dass die NSA jeden, der etwas über das Project Trinity oder seine Mitarbeiter wusste, als potenzielle Bedrohung einstufte.Über diese Sorge hinaus war ich sicher, dass es nichts mit meiner Vergangenheit zu tun hatte, was ich während meiner narkoleptischen Episoden erlebte. Die Bilder schienen von außerhalb meines Bewusstseins zu kommen. Nicht in dem Sinne, dass ich fremde Stimmen hörte – ein sicheres Anzeichen für Schizophrenie –, sondern im klassischen Sinne von Visionen, von Offenbarungen wie jenen, die von Propheten beschrieben wurden. Für einen Mann, der seit seiner Kindheit nicht mehr an Gott glaubte, war das ein bestürzender Zustand.
    Meine Träume hatten nicht zugleich mit meinen ersten narkoleptischen Anfällen begonnen. Die ersten Anfälle waren echte Blackouts gewesen. Löcher in meinem Leben. Lücken in der Zeit, die für immer verloren waren. Ich saß an meinem Computer im Büro und arbeitete, und plötzlich spürte ich hochfrequente Vibrationen im Leib. Zuerst überall, dann konzentrierten sie sich auf meine Zähne. Es war ein klassisches Anfangssyndrom für Narkolepsie. Ich begann mich schläfrig zu fühlen, und dann schreckte ich plötzlich in meinem Sessel hoch und stellte fest, dass vierzig Minuten vergangen waren. Es war, als hätte jemand mich betäubt. Keinerlei Erinnerung, nichts.
    Nach einer Woche kamen dann die Träume. Der erste wiederholte sich eine ganze Weile, ein wiederkehrender Albtraum, der mir mehr Angst machte als die Blackouts, die ich vorher hatte. Ich erinnere mich, wie fasziniert Rachel war, als ich das erste Mal davon erzählte – und wie untypisch überzeugt sie sich gegeben hatte, das Bild zu begreifen. Ich saß in dem dick gepolsterten Sessel ihr gegenüber, schloss die Augen und beschrieb, was ich so häufig gesehen hatte.
    Ich sitze in einem dunklen Raum. Es gibt absolut kein Licht. Kein Geräusch. Ich kann meine Augen mit den Fingern betasten, auch meine Ohren, aber ich sehe und höre nichts. Ich erinnere mich an nichts. Ich habe keine Vergangenheit. Und weil ich nichts sehe und nichts höre, habe ich keine Gegenwart. Ich bin einfach nur. Das ist meine Realität. ICH BIN . Ich fühle mich wie das Opfer eines Schlaganfalls, gefangen in einem Körperund einem Gehirn, die nicht mehr funktionieren. Ich kann denken, doch nicht an bestimmte Bilder. Ich fühle mehr, als ich denke. Und was ich fühle, ist Folgendes: Wo bin ich? Woher komme ich? Warum bin ich allein? War ich schon immer hier? Werde ich immer hier sein? Diese Gedanken erfüllen nicht bloß meinen Verstand, sie sind mein Verstand. Es gibt keine Zeit, wie wir sie kennen. Nur die Fragen, die eine in die andere übergehen. Schließlich vereinigen sie sich zu einem Mantra: Woher komme ich? Woher komme ich? Ich bin ein Hirngeschädigter, der für alle Ewigkeit in einem dunklen, vollkommen lautlosen Raum sitzt und der Dunkelheit eine einzige, stets gleiche Frage stellt.
    »Sehen Sie

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