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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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gewesen. Ich hatte mich gefühlt wie ein winziger Handschuh, in den sich die Hand eines Riesen zwängte. Ich begann am ganzen Leib zu zittern, und dann …
    »Ich erinnere mich, dass ich gefallen bin …«
    »Und was noch? Erinnerst du dich an irgendwas danach?«
    Ich fiel zu Boden, doch bevor ich aufschlug, schmolzen die Grenzen meines Körpers, und ich empfand eine vollkommene Einheit mit den Dingen rings um mich herum: der Erde und dem Fels unter der Kirche, den Vögeln in ihren Nestern in den Steinen über mir, den Blumen draußen im Hof und den Pollen, die sie in den Wind entließen. Ich fiel nicht, sondern schwebte, und ich sah, dass unter der Welt der Dinge eine tiefere Realität lag, eine pulsierende Matrix, in der sämtliche Grenzen Illusion waren, wo das Pollenkorn sich nicht vom Wind unterschied, wo Materie und Energie sich in einem ewigen Tanz bewegten und wo Leben und Tod nichts weiter waren als der Übergang vom einen zum anderen. Und doch, noch während ich dort schwebte inmitten der Welt wie eine Qualle mit Bewusstsein, spürte ich, dass unter der pulsierenden Matrix aus Materie und Energie etwas noch Tieferes lag, ein vibrierendes Substrat, so kurzlebig und doch zeitlos wie die Gesetze der Mathematik, unsichtbar und unwandelbar, das über alles herrschte, ohne eine Macht auszuüben.
    Das Vibrieren war tief und fern, wie von Turbinen, die sich tief im Herzen eines Staudamms drehten. Während ich lauschte, konnte ich ein Muster erkennen, mehr numerisch als melodisch, wie ein Musikstück, das noch nicht erschaffen war und dessen Noten dicht unterhalb meines Bewusstseins lauerten. Ich stimmte meine Gedanken auf dieses Muster, dieses Geräusch ab und suchte nach Wiederholungen, den flüchtigen Schlüsseln zu einem jeden Kode. Und obwohl ich mit meinem ganzen Wesen lauschte, gelang es mir nicht, eine Bedeutung in diesesVibrieren zu bringen. Es war, als würde ich einem Gewitter lauschen und versuchen, das Muster der einzelnen Regentropfen zu entschlüsseln, die auf dem Boden zerplatzten. Etwas in mir sehnte sich danach, diese zugrunde liegende Ordnung zu erkennen, das gigantische Notenblatt, auf dem jeder einzelne Tropfen verzeichnet war.
    Und dann dämmerte mir die Erkenntnis. Das Muster, nach dem ich suchte, war überhaupt kein Muster. Es war Zufälligkeit. Eine tiefe Zufälligkeit, welche die scheinbare Ordnung der Welt durchdrang. Und in diesem Augenblick begann ich zu sehen, wie ich niemals zuvor gesehen hatte, und zu hören, was nur wenige Menschen vor mir je gehört hatten: die Stimme von …
    »David? Hörst du mich?«
    Ich blinzelte und riss mich zusammen. Musterte meine Umgebung. Medizinschränke. Eine transportable EEG-Apparatur auf einem Rollwagen. Rachels erschöpftes Gesicht.
    »Ich kann dich hören.«
    Sie trat einen Schritt vor und rang die Hände. »Ich habe in Washington angerufen, David. Ich habe ihnen gesagt, dass wir hier sind. Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen.«
    »Ich weiß.«
    »Hast du meinen Anruf gehört?«
    »Nein.«
    »Aber woher weißt du dann, dass ich angerufen habe?«
    Auf die gleiche Weise, wie ich weiß, dass wir jetzt in Gefahr sind. Ich sah auf meinen Unterarm und begann, die Injektionsnadel des intravenösen Tropfs aus meinem Handgelenk zu ziehen.
    »Tu das nicht!«
    »Wir müssen hier weg.«
    Sie riss die Augen auf. »Was?«
    »Es wird bluten, sobald die Nadel draußen ist. Kannst du einen Verband suchen? Wo sind meine Sachen?«
    Rasch trat sie dicht zu mir und fiel mir in den Arm, sodass ich die Nadel nicht ganz entfernen konnte. »David, du bist im Augenblick nicht ganz bei dir! Du warst eine ganze Nacht imKoma! Ich habe mit Ewan McCaskell gesprochen. Der Präsident lässt Ravi Nara herfliegen, damit er dich behandelt. Er kennt diese Art von Koma; er war selbst dreißig Stunden in einem Alpha-Koma und ist ohne bleibende Folgen daraus erwacht. Sie alle wollen uns helfen …«
    »Ravi Nara hat nie in einem Alpha-Koma gelegen. Er leidet seit dem Super-MRI unter unkontrollierbaren sexuellen Zwängen, das sind seine Nebenwirkungen. Nichts anderes.«
    »Aber er hat mir erzählt …«
    »Er hat dir etwas erzählt, von dem er wusste, dass es dich beruhigen würde. Wir müssen hier weg. Schnell.«
    »Aber der Präsident möchte die Wahrheit erfahren. McCaskell hat es gesagt, und ich glaube ihm.«
    Ich wusste nicht, wie ich ihr das in mir ruhende neue Wissen vermitteln sollte, ohne in ihren Augen als übergeschnappt dazustehen. Ich erhob mich von der Liege, und

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