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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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humorvollen Mail von Fielding gerechnet hatte. Er schickte mir häufig kleine Witze oder ironische Zitate von toten Wissenschaftlern oder Philosophen. Forscher über sechzig richten mehr Schaden an als sie nutzen – T. H. Huxley und dergleichen. Es würde kein Dergleichen mehr geben. Ich blickte mich voll innerer Leere in meinem Büro um. Fielding war nicht mehr, und ich war bis in mein tiefstes Inneres erschüttert. Gemeinsam hatten wir Project Trinity für sechs angespannte Wochen gestoppt, zum großen Ärger unserer Kollegen, während wir uns vergeblich bemüht hatten, die Ursache für die MRI-Nebenwirkungen bei den sechs Leitern des Forschungsprojekts aufzuklären. Das Problem war bis heute ungelöst.
    Ich hatte mich nicht aus Dummheit freiwillig für einen Scan in dem Super-MRI gemeldet. Die Theorie war einfach. Da Homo sapiens sich im Magnetfeld der Erde entwickelt hatte, bedeutete das Magnetfeld des MRI kein gesundheitliches Risiko. Diese Theorie hatte sich zahllose Male bei herkömmlichen MRI-Geräten als richtig erwiesen, deren magnetische Felder bis zu dreißigtausend Mal stärker waren als das der Erde. Doch das Super-MRI, das von Project Trinity entwickelt worden war, erzeugte mithilfe von Supraleitern und gigantischen Spulen ein Magnetfeld, das achthunderttausend Mal stärker war als das der Erde. Starke Nebenwirkungen wie die Erhitzung von Körpergewebe waren durch Tierexperimente ausgeschlossen worden, dochinnerhalb weniger Tage, nachdem wir unsere »Superscans« absolviert hatten, zeigten sich bei jedem von uns bestürzende neurologische Symptome.
    Jutta Klein, die Konstrukteurin des Super-MRI, litt unter Kurzzeitgedächtnisstörungen. Ravi Nara entwickelte extreme sexuelle Zwänge. (Er war mehrmals dabei überrascht worden, wie er in seinem Büro oder auf der Toilette onanierte.) John Skow litt unter Tremoranfällen der Hände, und Peter Godin hatte epileptische Anfälle. Fielding hatte eine Form des Tourette-Syndroms entwickelt, ausgerechnet Tourette, und sprudelte häufig unangemessene Worte oder Sätze hervor.
    Und ich hatte Narkolepsie.
    Ravi Nara, unser Nobelpreis-Neurologe, fand keine medizinische Erklärung für diesen plötzlichen Schauer von Symptomen, daher wurden sämtliche Super-MRI-Scans vorübergehend eingestellt. Die Arbeiten am Trinity-Computer liefen weiter, doch ohne das Super-MRI hatten Godins Ingenieure lediglich die ursprünglichen sechs Neuroscans zur Verfügung, um damit zu experimentieren, und niemand wusste zu sagen, ob die Auflösung dieser Scans ausreichend war, um den »Sprung« in den Prototypcomputer zu schaffen. Nachdem Nara keinen Rat wusste, begann Fielding in seiner Freizeit mit der Untersuchung der Nebenwirkungen. Sechs Wochen später hatte er die Theorie entwickelt, dass die Störungen durch eine Unterbrechung der Quantenprozesse in unseren Gehirnen verursacht worden seien; er untermauerte seine Theorie mit zwanzig Seiten voller komplexer Mathematik. Nara warf ein, dass nichts auf dem Gebiet der Neurowissenschaften die Vermutung nahe legte, das menschliche Gehirn könne Quantenprozesse durchführen. Es gab nur ein paar Physiker, die dieser »New-Age-Theorie« des Bewusstseins anhingen – unter ihnen Roger Penrose –, doch Fielding ließ sich nicht entmutigen und versuchte, seine Theorie zu beweisen.
    Anfänglich wurde er von Peter Godin unterstützt, doch bald darauf nahm man die MRI-Tests mit Primaten wieder auf. Schimpansen und Orang-Utans zeigten keine Nebenwirkungen.Fielding argumentierte, dass die Primaten kein Bewusstsein im menschlichen Sinne besäßen und in ihren Gehirnen daher auch keine Quantenprozesse abliefen, die man unterbrechen könne, doch Godin ignorierte seine Einwände. Dann berichtete ich dem Präsidenten von Fieldings Vermutungen, und der Präsident suspendierte das Projekt offiziell, bis die Nebenwirkungen erschöpfend aufgeklärt worden waren.
    Das war vor sechs Wochen gewesen. Seither hatten Fielding und ich fast rund um die Uhr daran gearbeitet, seine Theorie der Quantenstörung zu beweisen. Ich hatte mich gefühlt wie ein Assistent Albert Einsteins, der Bleistifte spitzte und Notizen niederschrieb, während das Genie neben ihm arbeitete. Doch trotz Fieldings unvergleichlichem Intellekt fand er keinen Weg, seine Theorie zu beweisen. Über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns war einfach noch zu wenig bekannt. Und nun war Andrew tot. Ohne eine stichhaltige Verbindung zwischen dem Super-MRI und unseren neurologischen

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