Geraubte Erinnerung
ständig im Dunkeln gelassen zu werden, doch so war das nun einmal, wenn man für den Geheimdienst arbeitete. Lassen Sie Ihre Leute im Unklaren und erzählen Sie ihnen irgendwelche Märchen. Sie begriff, wie wichtig es war, Wissen nur scheibchenweise weiterzugeben. In den vergangenen beiden Jahren hattesie nicht wissen müssen, woran die Wissenschaftler des Projekts arbeiteten. Doch die Dinge hatten sich seither geändert. Seit das Projekt auf Eis gelegt worden war, hatte Peter Godin einen Großteil seiner Zeit außerhalb von Trinity verbracht, vorgeblich in der Zentrale seines Unternehmens in Kalifornien. Geli glaubte die Geschichte nicht mehr. Insbesondere auch deswegen, weil Godin häufig Ravi Nara mitnahm, den Neurologen von Project Trinity. Nara hatte mit Godin Supercomputing rein gar nichts zu schaffen, und Godin hatte darüber hinaus eine Abneigung gegen den Inder.
Und ausgerechnet jetzt war Peter Godin wie vom Erdboden verschluckt.
War Fieldings Taschenuhr mit ihm verschwunden? Wie konnte eine alberne Taschenuhr so wichtig sein? Als Fielding seinen Posten bei Project Trinity angetreten hatte, war die Uhr von einem NSA-Techniker zerlegt und untersucht worden, um sicher zu gehen, dass sie kein Datenaufzeichnungsgerät enthielt. Er hatte die Uhr als sauber freigegeben. Sie war dieses Jahr erneut auseinander genommen worden, an einem willkürlich ausgewählten Tag. Wieder war die Uhr sauber gewesen. Warum also war sie aus dem Lagerraum entfernt worden?
Geli stellte sich die Taschenuhr in Gedanken vor. Ein schweres goldenes Gehäuse, verkratzt vom Gebrauch. Eine Kette war daran befestigt, an deren Ende ein Kristallknopf hing. Der Kristall war transparent – man hätte nichts darin verstecken können. Zumindest nichts, wovon sie wusste.
Die direkte Verbindung zur NSA blinkte rot. Sie leitete den Anruf auf ihr Headset. »Bauer hier.«
»Jim Conklin.« Conklin war ihr Hauptverbindungsmann in Crypto City, in Fort Meade.
»Was gibt’s?«
»Wir überwachen immer noch sämtliche Münztelefone in der Umgebung von Fieldings Haus. Alles innerhalb von drei Meilen, vierundzwanzig Stunden am Tag. Sie haben den Auftrag nicht zurückgezogen.«
»Das hatte ich auch nicht vor.«
»Nun ja, wegen all der Arbeit, die wir mit den Antiterror-Abhöraufträgen hatten, hängen wir ein paar Tage mit dem Screening auf Stimmabdrücke hinterher.«
Geli spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. »Haben Sie etwas gefunden?«
»Vor vier Tagen hat Andrew Fielding einen Anruf von einer Tankstelle aus getätigt. Sie möchten ihn gern hören, nehme ich an.«
»Können Sie mir die Audiodatei schicken?«, fragte Geli.
»Sicher. Ich schicke sie Ihnen über WebWorld.« WebWorld war das gesicherte Intranet der NSA, und Geli gehörte zu den ganz wenigen außerhalb von Fort Meade, die damit verbunden waren. »Möchten Sie auch die Spektrogramme der passenden Zuordnungen?«
»Nein. Ich kenne Fieldings Stimme.«
»Zwei Minuten.«
Geli beendete das Gespräch, blickte auf die Uhr und sagte: » JPEG . Fielding, Andrew.«
Ein Foto Fieldings füllte ihren Computerschirm. Der weißhaarige Engländer besaß ein eckiges, attraktives Gesicht, dessen Wangen von kleinen geplatzten Äderchen überzogen waren. Fielding hatte gern ein Glas Gin getrunken. Doch was einen wirklich fesselte, waren seine Augen. Funkelnde, leuchtend blaue Augen, die einen jungenhaften Schalk ausstrahlten, der beinahe über die messerscharfe Intelligenz hinwegtäuschen konnte, die sich dahinter verbarg. Als Geli in diese Augen blickte, erkannte sie, welch ungeheurer Gegner Fielding war. Er mochte tot sein, doch er kontrollierte immer noch das Geschehen.
In einer Ecke des Bildschirms blinkte ein Icon auf. Eine Audiodatei war eingegangen. Zumindest in dieser Hinsicht war die Effizienz der NSA beeindruckend. Geli wollte es soeben öffnen, als in ihrem Headset ein Alarmsignal von ihrem Team in dem getarnten Lieferwagen ertönte.
»Was gibt’s?«
»Ein Streifenwagen ist in die Straße eingebogen. Jemand muss den Schuss gemeldet haben.«
Geli schloss die Augen. Sie würde ihre Vollmachten gebrauchen und Tennants Haus unter Quarantäne stellen müssen. Und die Quarantäne hätte zur Folge, dass die örtliche Polizei von der Anwesenheit der NSA in Chapel Hill erfuhr.
»Der Streifenwagen hat angehalten«, berichtete der Teamführer im Lieferwagen.
»Wo?«
»Drei Häuser weiter die Straße hinauf.«
»Was tun die Cops?«
»Sie steigen aus. Sie nehmen die Waffen aus den
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