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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Halftern. Sieht so aus, als würden sie einen Einbruch überprüfen.«
    »Einen Einbruch?« Gelis Gedanken überschlugen sich. Wie standen die Chancen für einen Einbruch am helllichten Tag, genau zur gleichen Zeit und dem gleichen Ort, an dem sie einen Gegner aus dem Weg hatte räumen lassen? »Gehen Sie in Tennants Haus und finden Sie heraus, was passiert ist! Ich bin auf dem Weg zu Ihnen.«
    »Wird gemacht.«
    Geli hämmerte auf einen roten Knopf in ihrem Pult und alarmierte jeden Mitarbeiter ihres Sicherheitsteams, gleichgültig, ob er gerade im Gebäude war, jemanden beschattete oder zu Hause im Bett lag und schlief. In weniger als zwei Minuten würde sich ein Netz um David Tennants Haus legen, und niemand würde mehr hinein- oder hinauskommen, ohne dass Geli Bauer davon erfuhr.

14
    I ch wollte gerade aus meinem Stadtteil fahren, als mir dämmerte, dass ich einen Fehler beging. Der Highway mochte wie ein möglicher Fluchtweg aussehen, doch er war es nicht. Ich kannte Geli Bauer gut genug. Also riss ich das Lenkrad nach links und vollführte mitten auf der Hickory Street eine Hundertachtzig-Grad-Wende, um anschließend in die Elm Street einzubiegen.
    »Warum drehen Sie um?«, fragte Rachel aus dem Fußraum des Beifahrersitzes.
    »Haben Sie schon mal Kaninchen gejagt?«
    Sie blinzelte mich verwirrt an. »Kaninchen? Ich komme aus New York.«
    Eine Frau auf einem Mountainbike fuhr winkend an uns vorbei. Auf dem Gepäckträger hatte sie einen Kindersitz mit einem Kleinkind darin – angesichts unserer gegenwärtigen Umstände ein geradezu irreales Bild.
    »Wenn ein Kaninchen um sein Leben rennt, schlägt es blitzschnelle Haken, doch es kehrt stets in großem Bogen zu der Stelle zurück, von der es losgerannt ist. Eine gute Fluchtstrategie. Doch das wissen die Kaninchenjäger, und das ist der Grund, aus dem sie Hunde einsetzen. Die Hunde jagen die Kaninchen müde, während die Jäger stehen bleiben und darauf warten, dass ihnen die Beute vor die Flinten läuft, wenn sie zurückkehrt.«
    Auf Rachels Gesicht stand Abscheu. »Das ist ja barbarisch!«
    »Es bringt Essen auf den Tisch. Die Sache ist die: Die Leute, die uns jagen, erwarten, dass wir davonlaufen wie jeder andereMensch auch. Aber wir haben eine Lektion von unserem Kaninchen gelernt.«
    »Und was gewinnen wir dadurch?«
    »Einen Wagen beispielsweise. In diesem hier kämen wir keine fünf Meilen weit. In Ihrem übrigens auch nicht.«
    »Und wessen Wagen nehmen wir?«
    »Bleiben Sie einfach unten und warten Sie’s ab.«
    Die Elm Street führte um meine Wohngegend herum. Ich fuhr bis zur Oak Street, die parallel zur Willow Street verlief, und bog nach links ein. Ich fuhr langsam weiter, wobei ich nach den Dächern meiner Straße Ausschau hielt. Als ich mein eigenes Dach erspähte, suchte ich die Vorgärten weiter voraus ab. Hundert Meter entfernt sah ich, was ich gesucht hatte. Ein blau-weißes Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen«. Das fragliche Haus besaß eine lange, geschwungene Auffahrt, auf der keine Wagen parkten. Ich bog in die Auffahrt ein, lenkte den Wagen vom betonierten Weg herunter und fuhr rasch hinter eine dichte Buchsbaumhecke, die den Wagen vor Blicken von der Straße verbarg.
    »Los, kommen Sie mit«, sagte ich zu Rachel und stieg aus.
    Rachel kletterte aus dem Fußraum meines Acura und öffnete die Beifahrertür. Ihr Gesicht war bleich, und ihre Hände zitterten. Die Schießerei in meinem Haus hatte sie in einen Schock fallen lassen. Auch ich war erschüttert. Ich hatte früher schon getötet. Ich hatte meinem eigenen Bruder eine Mischung aus Pottasche und Betäubungsmitteln injiziert und dann zugesehen, wie der letzte Funke Bewusstsein in seinen Augen erloschen war. Doch einem Mann das Gehirn aus dem Schädel zu schießen war eine ganz andere Geschichte. Und wenn Geli Bauer erst erfuhr, dass ich einen ihrer Leute erledigt hatte, würde sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sich an mir zu rächen.
    Ich ging zu Rachel und zog sie an mich, umarmte sie und hielt sie, wie ich früher meine Frau und meine Tochter gehalten hatte. »Ganz ruhig«, sagte ich. »Alles kommt wieder in Ordnung.« Ich glaubte selbst nicht so recht daran. Ihr Haar roch seltsamvertraut. Meine Frau hatte das gleiche Shampoo benutzt. Ich verdrängte die Erinnerung aus meinen Gedanken. »Aber wir müssen zuerst flüchten. Verstehen Sie das?«
    Sie nickte an meiner Brust. Ich streichelte ihr übers Haar. Ich konnte selbst nicht recht glauben, was geschehen war.

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