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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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verfassen.«
    Die Lüge kam ihr mühelos über die Lippen. Gab sie dem anderen mit der Hand heimliche Zeichen?
    »Wo ist Ihre Kamera?«
    Ich zog die Sehne bis an die Wange zurück und zielte durch das Visier. Rachels Körper blockierte mein Sichtfeld zum Teil, doch ich wollte mein Gewicht nicht verlagern, aus Angst, ein Geräusch zu machen.
    »Ist mir in den Bach gefallen«, sagte Rachel. »Sind Sie Wildhüter?«
    »Red Six an Red Leader«, sagte der Mann in sein Kragenmikrofon.
    »Ich sage Ihnen alles!«, rief Rachel.
    Ich lehnte mich ein wenig nach rechts, während ich um freies Schussfeld kämpfte.
    Der Mann blickte auf. »Also schön. Wo ist er?«
    Viele schusssichere Westen hielten zwar eine Kugel auf, aber kein Messer. Eine rasiermesserscharfe Pfeilspitze sollte eigentlich durchdringen, was ein Messer durchdrang; falls nicht,würde Rachels Kopf – oder meiner – in einer Wolke roten Nebels verschwinden. Ich zielte auf das V am Hals des Mannes, direkt über dem Kragen seiner Weste.
    »Was werden Sie mit ihm machen, wenn Sie ihn gefunden haben?«, fragte Rachel.
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Red Six«, drang es blechern aus einem kleinen Lautsprecher im Ohr des Mannes, laut genug, dass Rachel und ich es hören konnten. »Hier Red Leader. Wiederholen Sie Ihre Nachricht.«
    Als er nach dem Sendeknopf seines Funkgeräts tastete, schrie Rachel meinen Namen, und ich ließ den Pfeil fliegen.
    Rachels Schrei übertönte das Geräusch des Einschlags. Einen Augenblick lang befürchtete ich, ich hätte sie getroffen. Sie war auf die Knie gefallen, doch der Mann stand immer noch da und hielt seine Pistole. Warum hatte er nicht geschossen? War mein Pfeil ohne jedes Geräusch an ihm vorbeigeflogen? Die Sehne des Bogens vibrierte nicht mehr. Ich riss einen weiteren Pfeil aus dem Köcher und wollte ihn mit zitternden Fingern einlegen.
    »Red Six, hier ist Red Leader. Was haben Sie zu berichten? Melden Sie sich!«
    Ich rechnete mit einem Schuss, doch stattdessen vernahm ich einen schweren Aufprall, den ich augenblicklich erkannte. Als ich aufblickte, war der Mann verschwunden. Ich hatte Rotwild genauso fallen hören, nach einem Schuss ins Rückgrat. Zuerst kam das Surren des Pfeils, dann der Einschlag, der die Knie weich werden ließ, und zum Schluss das zementsackartige Zusammenbrechen nach einem sauberen Blattschuss. Die Verspätung war es gewesen, die mich verunsichert hatte. Dieser Mann hatte dagestanden wie eine Statue, unwillig zu sterben.
    »Hier spricht Red Leader. Antworten Sie augenblicklich, Red Six!«
    Rachels Gesicht war tränenüberströmt. Als das Adrenalin in meinen Blutkreislauf gepumpt wurde, schob ich sie zur Seite und blickte nach unten. Der schwarzgekleidete Mann lag reglos auf dem Rücken. Der Pfeil hatte seine Kehle und das Genicksauber durchbohrt. Mit dieser Wunde war er nicht länger als eine Sekunde auf den Beinen geblieben, was wieder einmal bewies, wie subjektiv Zeitempfinden sein kann, wenn es hektisch wird.
    »Steigen Sie in den Wagen«, befahl ich Rachel.
    »Wo ist er?«
    »Dreißig Yards vor uns. Los, Bewegung!«
    Sie stolperte über den Gefallenen und verschwand zwischen den Bäumen.
    »Red Six, hier Red Leader. Was geht bei Ihnen vor?«
    Eine andere Stimme meldete sich durch statisches Rauschen hindurch. »… verdammte Scheiß-Funkgeräte! Los, gehen Sie den Hundesohn suchen! Sagen Sie ihm, wir hätten Kaffee hier oben. Das wird ihm Beine machen.«
    Die Augen des Toten standen offen, doch sie waren so blind wie beschlagenes Glas. Ich nahm seine Automatik an mich und steckte sie in eine Tasche meines Overalls. Dann ging ich in die Knie und wuchtete mir den Leichnam über die Schulter. Ich musste mich an einem dicken Ast nach oben ziehen, um wieder auf die Beine zu kommen, doch ich schaffte es und torkelte mit meiner schweren Last zum Truck. Jeder im Umkreis von hundert Metern musste glauben, dass Bigfoot persönlich durch das Unterholz brach, so groß war der Lärm, den ich veranstaltete.
    Rachel wartete beim Truck. Ihr Gesicht war totenblass. Ich stolperte um den Wagen herum und ließ den Leichnam auf die Pritsche fallen. Rachel zupfte an meinem Ärmel, und ich packte sie und wirbelte sie gegen den Wagen, um den Schlafsack aus ihrem Rucksack zu zerren. Ich rollte den Schlafsack auseinander und warf ihn über die Leiche; dann beschwerte ich den ausgebreiteten Schlafsack mit unseren Rucksäcken.
    »Steigen Sie ein!«, fauchte ich.
    Sie gehorchte.
    Ich kletterte auf die Pritsche, um den

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