Geraubte Herzen
»Ja, war Ihre Sekretärin wirklich so ineffizient?«
Er hasste es, es zuzugeben, aber Meredith war vermutlich die tüchtigste Aushilfe, die Mrs. Farrell ihm je besorgt hatte. »Sie war ganz in Ordnung.«
»Geben Sie ihr einen Tag Zeit zum Abkühlen, dann rufen Sie sie an und entschuldigen sich.«
Seine ganze Wut brach sich Bahn. »Das werde ich nicht!«
»Arbeitslos zu sein, kann schreckliche Folgen haben.« Hope hörte sich wieder unerbittlich an.
»Sie sind eine mitfühlende Seele«, sagte er.
Die meisten Leute in seinem Bekanntenkreis hätten Derartiges entsetzt abgestritten. Nicht so Hope. »Ja«, gab sie unumwunden zu.
»Wo haben Sie gelernt, Ihre Mitmenschen so zu manipulieren?«
Sie lachte. »Sie meinen, ihnen erklären, was richtig ist?«
»Was auch immer.«
Sie blieb lange stumm. Sie schien kurz davor zu sein, etwas Privates preiszugeben - das hatte sie, trotz seiner gelegentlichen Fragen, noch nie getan.
Ihre Stimme war bedrückt und fast unhörbar leise. »Mein Vater war Pfarrer.«
Schlagartig aufgerüttelt, fragte er nach: » War? Hat er sein Amt aufgegeben?«
Sachlich, schnörkellos und ohne Umschweife sagte sie: »Er ist tot. Meine Eltern sind tot.«
»Das … tut mir Leid.« Unzureichende Worte für einen unbeschreiblichen Verlust.
»Danke.« Dann setzte sie gelassen hinzu: »Ihr Pfarrer würde Ihnen dasselbe raten, was ich Ihnen gerade geraten habe.«
Sein Pfarrer hätte nicht im Traum daran gedacht, das Boot, in dem er saß, ins Schwanken zu bringen und den wichtigsten Geldgeber der Gemeinde zu verprellen.
»Sie wollen doch nicht wie Mr. Givens werden. Sie werden zwar nie erfahren, welches Unglück Sie anrichten, aber dann werden Sie auch nie erleben, wie viel Gutes Sie mit ein wenig Nachsicht tun können. Jetzt gehen Sie, und legen Sie sich hin. Morgen fühlen Sie sich besser.«
Er hörte im Hintergrund ein Telefon läuten und suchte nach einem Weg, sie zu halten. »Ich habe Husten.« Er hüstelte ein paarmal effektvoll.
»Nehmen Sie Hustensaft. Ich habe einen Anrufer in der Leitung. Bis dann!«
Mit diesem schnippischen kleinen Ratschlag legte sie auf und ließ ihn - Zachariah Givens IV - verwundert den Hörer anstarrend zurück. Bis dann? Er hatte gedacht, das sei für Stewardessen und Teenager reserviert. Außerdem war Hope durch und durch liberal. Er musste sich so fern wie möglich von ihr halten, sonst brachte sie ihn noch dazu, wie Tante Cecily zu werden. Er stellte sich vor, was für ein Gesicht Vater machen würde, wenn er zu salbadern anfing, nur ein glücklicher Angestellter sei ein loyaler Angestellter … Das Telefon in seiner Hand läutete. Er drückte auf den Tasten herum. »Hallo? Hallo?« Er erwischte die blinkende Taste.
»Hallo!« Hopes Stimme ertönte klar an seinem Ohr. »Ich muss jetzt zum Kurs, aber ich wollte Ihnen noch sagen -«
»Zum Kurs?«
»Ich gehe aufs College. Ich wollte Ihnen noch sagen -«
»College? Wieso das?«
Ihr Sarkasmus versengte fast das Telefon. »Weil ich mein Lebensziel, als Telefonistin zu arbeiten, bereits erreicht habe. Würden Sie jetzt bitte still sein?« Er gehorchte, und sie holte tief Luft. »Ich wollte Ihnen noch sagen, dass Sie, auch wenn Sie vielleicht schlecht von Ihren Angestellten sprechen, im Herzen doch ein guter Mensch sind.«
Er musste ihr die Wahrheit sagen. Wer er war.
»Hope …«
»Ja?«
Im Hintergrund hörte er wieder das verdammte Klingeln. Sie musste einen Anruf entgegennehmen. »Hope …« Wie sollte er es ihr sagen?
»Ich weiß, es macht Sie verlegen. Aber Sie sind ein guter Mensch. Ich muss gehen. Wir reden heute Abend weiter.« Sie legte schon wieder auf.
Zum zweiten Mal in kaum zehn Minuten. Für ein Mitglied der Familie Givens musste das Rekord sein. Langsam legte er den Hörer auf.
Eine Pfarrerstochter. Das erklärte vieles. Aber warum war sie so verschlossen, wenn es um sie selbst ging? Die Frau war ein Rätsel, und zwar eines, das er lösen wollte. Nicht so alt, wie er anfangs gedacht hatte, denn sie ging aufs College. Sie war sicher nicht verheiratet und hatte auch keine Kinder.
Er musste den Verstand verloren haben, denn er wusste genau, dass sie alternativ eingestellt war und bequeme Schuhe trug. Er musste aufhören, von ihr zu phantasieren.
Er würde nicht so weit sinken, sich mit ihr zu treffen. Er würde sich mit Robyn verabreden. Sobald er diese Erkältung hinter sich hatte … Und er musste etwas unternehmen, um seinen Lapsus mit Meredith wieder gutzumachen, bevor Jason davon
Weitere Kostenlose Bücher