Gerechte Engel
hätten ihm ein blutiges Messer untergeschoben und dann ein Geständnis aus ihm herausgeprügelt, weil die Wahrscheinlichkeit am größten schien, dass er der Täter war.«
»Ja«, erwiderte Bree. »Der Gedanke ist mir in der Tat gekommen.«
Dent schüttelte den Kopf. »Unsinn.«
»So?«
»Er hat gestanden. Von sich aus. Dazu müssen Sie wissen, wie sich damals alles so verhielt. Dieser Fall war, wie der Polizeichef sagte, von höchstem öffentlichem Interesse. Eine Menge Großkopf… sorry, eine Menge einflussreicher Leute hatte, auf die eine oder andere Weise, Kontakt zu Haydee Quinn und Bagger Bill. In den Dreißigern war Norris Alkoholschmuggler, während des Krieges Schwarzhändler, und danach versorgte er die oberen Zehntausend mit den Suchtmitteln, die sie brauchten. Marihuana und noch schlimmere Sachen. Jedenfalls war sein Nachtclub der Stadt schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Hauptsächlich ging es dabei um Glücksspiel, aber auch um Drogen. Anderthalb Jahre, bevor all dies geschah, engagierte Norris Haydee als Tänzerin, und ich wusste von Anfang an, dass sie Ärger machen würde, das kann ich Ihnen sagen. Sie ging mit vielen Männern ins Bett, hauptsächlich mit solchen, die ihr irgendwie nützlich sein konnten. Also mit reichen Männern. Männern mit Macht. Was Haydee selber angeht …«, sein Gesicht wurde weicher, »… so hat sie mich stark an Ava Gardner erinnert.«
»Die Schauspielerin?«, fragte Bree. Der Name war ihr von Kreuzworträtseln her vertraut.
»Der Filmstar«, sagte Dent, als ob das einen Unterschied machte. Was damals vielleicht der Fall war. »Haydee kam ebenfalls aus äußerst bescheidenen Verhältnissen. Ihr Vater war Baumwollfarmer und arm wie eine Kirchenmaus. Haydee hat es geschafft, diesen Verhältnissen zu entkommen. Wie sie das angestellt hat, obwohl sie doch kaum lesen und schreiben konnte … nun, dazu hätten Sie sie live und in Farbe sehen müssen.« Er streckte die Hand aus und tippte auf das Foto von Haydee in Arbeitskleidung. »Das zeigt nicht mal annähernd, wie hinreißend sie war. Wenn sie in ein Zimmer kam, richteten sich alle Blicke auf sie. Diese Augen, dieses Haar, diese sagenhaft weiße Haut! Sie hatte ein vollkommenes Gesicht, wissen Sie. Vollkommen proportioniert. Nach ihrem Tod erschien ein Artikel darüber, in einer der großen Zeitungen. Jedenfalls machte sie in Savannah unglaublich Furore. Jeder war verrückt nach ihr. Die Männer, versteht sich. Die Frauen weniger. Eines Tages fing sie dann eine Affäre mit Alex Bulloch an. Er war einige Jahre jünger als sie. Ich habe die beiden zwar nie zusammen gesehen, aber es wurde behauptet, dass die zwei sich wirklich liebten. Darum ging es auch bei diesem Streit, den Haydee kurz vor ihrem Tod mit Norris hatte.«
»Das wissen Sie von Norris?«
»O ja. Der Mann war verrückt vor Eifersucht. Allen Berichten zufolge konnte sie eine ziemliche Kratzbürste sein. Sagte zu Norris, er könne sich den Vertrag sonst wohin schieben und dass sie den Jungen auf jeden Fall heiraten werde. Norris sagte, als sie das Zimmer verlassen wollte, habe er sich geschnappt, was ihm als Erstes unter die Finger kam – ein Messer, mit dem man im Club Schinken aufschnitt.« Dent nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. »An der Bar hatten sie immer einen großen Schinken, weil Norris meinte, die Gäste würden dadurch durstiger werden und mehr trinken. Hat bei mir auch bestens geklappt, das steht fest.«
Bree lenkte das Gespräch auf die Nacht des Mordes zurück. »Norris hat sie mit dem Messer angegriffen?«
»Hat es ihr ins Herz gestoßen. Oder es zumindest versucht.«
»Und was geschah dann? Hat er sie zum Fluss geschafft?«
»Norris? Ach was. Er sagte, er sei auf die Knie gefallen und habe sie um Verzeihung gebeten, worauf sie davongerannt sei. Das Nächste, woran er sich erinnern konnte, war, dass man sie aus dem Fluss fischte.«
»Was hat denn die Autopsie ergeben?«, fragte Bree. »Laut Zeitungsbericht ist sie nämlich nicht ertrunken. Genau genommen war sie ja auch noch am Leben, als man sie aus dem Wasser zog. Vermutlich könnte sie also letztlich daran gestorben sein, dass sie zu viel Wasser geschluckt hatte.«
»Soweit man feststellen konnte, ist sie an den Stichwunden gestorben«, sagte Dent.
»Warum ließ sich das nicht mit Sicherheit sagen?«
»Meine Güte, sind Sie aber pingelig«, erwiderte Dent. »Ich bin verdammt froh, dass Sie mich nie vor Gericht ins Kreuzverhör genommen haben.« Er sprach mit hoher
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