Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
Vom Netzwerk:
Philosophen beschäftigt. Sie wollen vertraute Begriffe – Wahrheit, Verursachung, Gerechtigkeit und all die anderen – analysieren, indem sie uns erklären, was diese jeweils bedeuten. Wenn ihnen das gelingt, dann sagen sie uns aber nur, was wir bereits wissen, weil es sich ja um unsere eigenen Begriffe handelt. Wenn eine Analyse also gelingt, ist sie uninformativ. Die Idee interpretativer Begriffe löst dieses Paradox auf, weil ein gelungenes Verständnis eines solchen Begriffs etwas Neues beiträgt.
22
    Dichte und dünne Begriffe
    Lassen Sie mich zum eigentlichen Thema zurückkehren. Ich habe erklärt, daß moralische Begriffe wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Verrat und Freundschaft interpretativ sind. Das bedeutet, daß wir Einigkeit und Uneinigkeit in diesen Fällen nicht erklären, indem wir ein gemeinsames Anwendungskriterium finden, sondern indem wir gemeinsame Praktiken voraussetzen, in denen diese Begriffe zum Tragen kommen. Um zu einem bestimmten Verständnis dieser Begriffe zu kommen, interpretieren wir sie, und wir gehen davon aus, daß selbst die abstraktesten moralischen Begriffe – etwa dessen, was gut ist und was wir tun sollten – interpretativ sind, weil wir ansonsten nicht erklären könnten, warum wir wirklich unterschiedlicher Meinung darüber sind, was gut und was richtig ist.
    Trotzdem scheint die Idee der Interpretation zunächst nicht so recht zu diesen sehr abstrakten Begriffen zu passen. Während es zum Beispiel durchaus plausibel scheint, Meinungsverschiedenheiten über Freundschaft – etwa darüber, ob jemand dafür kritisiert werden sollte, der Polizei belastende Informationen über einen Freund zu geben – auf unterschiedliche Inter
308 pretationen dieses Begriffs zurückzuführen, wirkt dieses Vorgehen vielleicht etwas merkwürdig, wenn es um die Idee des Guten oder der Pflicht geht. Der Gedanke, daß in Diskussionen darüber, ob wir verpflichtet sind, armen Menschen zu helfen, eigentlich darüber debattiert wird, wie man »Pflicht« am besten interpretiert, erscheint zunächst einmal seltsam. Das liegt aber nur daran, daß wir, wenn wir mit moralischen Begriffen befaßt sind – etwa mit der Frage, wie man sich in konkreten Situationen verhalten soll –, einen sehr offenen und sehr weiten Bereich von Praktiken interpretieren anstatt einem enger eingegrenzten.
    Bernard Williams hat zwischen zwei Klassen moralischer Begriffe unterschieden, die er »dichte« und »dünne« Begriffe nennt, und er war der Meinung, damit eine kategorische Unterscheidung getroffen zu haben. »Dünn« nannte er etwa die Begriffe des moralisch Richtigen und Falschen, dessen, was getan oder unterlassen werden sollte, weil es sich dabei um sehr abstrakte Vehikel für Lob oder Tadel handelt, mit denen ein fast unbegrenztes Spektrum an Handlungen und Sachverhalten belegt werden kann. Man kann über fast jede unserer Handlungen sagen, daß sie moralisch gefordert oder daß sie falsch ist, und jeder wüßte, was damit gemeint ist. Dichte moralische Begriffe hingegen vermischen die in ihnen zum Ausdruck kommende Zustimmung oder Ablehnung mit genaueren Tatsachenbeschreibungen. »Tapfer«, »großzügig«, »grausam« und »vertrauenswürdig« sind dichte Begriffe, weil mit ihnen ein bestimmtes Verhalten nicht nur bewertet, sondern zugleich auch näher bestimmt wird. Jeder dichte Begriff kann nur im Zusammenhang mit bestimmten Handlungen verständlich gebraucht werden, die man darum als Kandidaten jener spezifischen Formen von Lob oder Tadel beschreiben könnte. Es wäre zwar absurd zu sagen, daß Handlungen aus Barmherzigkeit moralisch falsch sind, wir verstehen aber, was mit dieser Aussage gemeint ist – hingegen ist die Behauptung (unter fast allen denkbaren Umständen) nicht einmal verständlich, daß Barmherzigkeit feige ist.
    309 Manche Philosophen verwenden diese Unterscheidung moralischer Begriffe in dicht und dünn leider völlig falsch und versuchen ihr entweder zu viel oder zu wenig aufzubürden. Wieder andere wollen sie einfach wegerklären. Dieser letzteren Sichtweise zufolge müssen dichte Begriffe, wie zum Beispiel Feigheit, als Mischformen verstanden werden oder, genauer ausgedrückt, als Kombination bestehend aus einem normalen kriteriumsabhängigen Begriff, den wir nur teilen, falls wir uns hinsichtlich der Kriterien zur Identifikation der entsprechenden Handlungen einig sind, und einer emotionalen Aufladung, in der die Verwerflichkeit jener Handlung zum Ausdruck kommt.
23 Das führt

Weitere Kostenlose Bücher