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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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näher begründet habe, ergibt sich meines Erachtens aus der besten Auffassung der Ziele, die sich eine Neuinszenierung eines alten Klassikers setzen sollte, daß es auf die erste dieser Fragen nicht die eine richtige Antwort gibt. Auf der Basis ebendieser Auffassung könnte man aber zu dem Schluß kommen, daß man auf die zweite der bei
305 den Fragen genau eine solche Antwort geben kann, selbst wenn jener Theaterregisseur selbst sich vollkommen unsicher ist, wie diese lauten würde. Es kann natürlich sein, daß meine Auffassung dessen, welche Ziele die Neuauflage eines Klassikers verfolgen sollte, vollkommen falsch ist, was zur Folge haben könnte, daß auch meine Meinung zur Frage der Möglichkeit einer richtigen Antwort falsch wäre. Weil jede Aussage substantiell ist, stehen sie alle mit auf dem Spiel.
    Wahrheit und Methode
    Mein Ansatz ist noch in einer anderen wichtigen Hinsicht ungewöhnlich. Üblicherweise wird streng zwischen Wahrheitstheorien, die in allen Bereichen gültig sein sollen, und Theorien der richtigen Untersuchungsmethodologie unterschieden, die natürlich vom jeweiligen Gegenstand abhängen. Im Gegensatz dazu geht mein Ansatz hier nur von unterschiedlichen Graden der Abstraktheit aus. Wir beginnen mit dem fast formalen und abstraktesten Verständnis von Wahrheit – etwa als einzigartig erfolgreichem Abschluß einer Untersuchung. Wenn wir dieses anschließend auf spezifische Bereiche anwenden, führt das zu konkreteren Theorien, die durch zunehmende Präzisierung dann allmählich zu einzelnen methodologischen Richtlinien für konkrete Bereiche und Unterbereiche werden. Wenn wir zum Beispiel eine Version der Korrespondenztheorie als Resultat der Anwendung jener sehr abstrakten Formulierung auf den Bereich der Naturwissenschaften verstehen, dann könnte erstere uns als anfängliche Skizze einer Theorie der wissenschaftlichen Methode dienen; zum Beispiel könnte als Beleg für Aussagen über die natürliche Welt nur in Frage kommen, was auf plausible Weise als direkt oder indirekt von diesen Fakten verursacht erklärt werden kann. Bei jeder genaueren Darstellung oder Spezifizierung der wissenschaftlichen Methode, wie zum Beispiel einer besonderen Theorie der Teilchenphysik
306 oder der Biologie, würde es sich zugleich um eine genauere Spezifikation einer Wahrheitstheorie handeln.
    Auch in den Interpretationsbereichen gäbe es diesen Übergang von der Wahrheit zur Methode. Eine Theorie darüber, was Wahrheit in einem bestimmten interpretativen Genre bedeutet, ist nur durch ihren Abstraktionsgrad von einem detaillierteren Ansatz unterschieden, der eine bestimmte Methode in diesem Genre als stichhaltig verteidigt. Die Theorie, daß Wahrheit im Fall literarischer Interpretation von mentalen Zuständen abhängt, ist nur eine abstraktere Version des Urteils eines bestimmten Literaturkritikers darüber, wie man Among School Children verstehen sollte. Im sechsten Kapitel habe ich betont, daß wir moralische Wahrheit von moralischer Verantwortlichkeit unterscheiden müssen, ich habe aber auch gesagt, daß die interpretative Begründung letzterer unsere beste Chance ist, zu ersterer zu gelangen. Nun kann ich die Verknüpfung der beiden auf eine neue Weise beschreiben. Unsere Theorie moralischer Verantwortung muß eine auf angemessene Weise konkretisierte Spezifikation unserer Theorie moralischer Wahrheit sein, und jeder Skeptizismus hinsichtlich der Wahrheitsfähigkeit einer bestimmten Klasse moralischer Urteile muß moralisch verantwortungsvoll durchdacht werden. Damit wiederhole ich nur, was mittlerweile hinlänglich vertraut klingen sollte. Jeder echte moralische Skeptizismus ist ein interner Skeptizismus. Zu diesem Ergebnis sind wir aber nun auch auf einem neuen Weg gekommen, nämlich durch ein gründliches Nachdenken darüber, wie man Wahrheit im Bereich der Moral am besten fassen kann.
    Nichts davon bedeutet, daß wir je selbst bestimmen können, was die Wahrheit ist. Das wird bereits durch die abstrakteste Darstellung der Wahrheit als dem erfolgreichen Abschluß einer Untersuchung ausgeschlossen. In keinem Bereich gehen wir von einer Wahrheit aus, die optional, unscheinbar, minimalistisch oder quietistisch ist, und wenn wir in der Philosophie debattieren, was Wahrheit ist, dann sprechen wir dabei nicht
307 einfach aneinander vorbei. Wir sind wirklich unterschiedlicher Meinung.
    Spätestens seit Platon im Dialog Menon das sogenannte Paradox der Analyse identifiziert hat, hat dieses Problem

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