Gerechtigkeit fuer Igel
der Untersuchung bestimmt, in der Wissenschaft aber von diesem unterschieden werden muß –, aber beide entsprechen jener abstraktesten Vorstellung von Wahrheit.
Diese sehr skizzenhaften Überlegungen schließen eng an das an, was Charles Sanders Peirce über Wahrheit gesagt hat.
19 Wir dürfen jedoch nicht, wie er an einer Stelle, behaupten, daß die Wahrheit immer oder nur das ist, was es uns ermöglicht, einen Wunsch zu befriedigen.
20 In manchen Fällen stimmt das – etwa dann, wenn wir uns damit befassen, was uns zufriedenstellen würde –, in anderen aber nicht. Diese Aussage ist etwas unglücklich, weil sie zu einer falschen Einschätzung des Status von Peirces Pragmatismus führt. Der Pragmatismus wird damit als Wahrheitstheorie präsentiert, die mit Korrespondenz-, Kohärenz- oder Interpretationstheorien konkurriert, aber
303 es wäre besser, ihn eher im Sinne einer abstrakteren Anleitung zur Entscheidung zwischen diesen konkreteren Theorien mit Blick auf ihre Anwendung in bestimmten Bereichen zu verstehen. Diese Lesart zieht jenem alten Scherz über den Pragmatismus den Stachel, der dessen Problem darin sieht, daß er einfach nicht funktioniert. In Peirces Verständnis ist der Pragmatismus nicht als eigenständiges Verfahren gedacht, sondern verweist im Sinne einer Empfehlung auf eine andere, eindeutig nicht pragmatische und weniger abstrakte Theorie. Außerdem schließen die Praktiken, aufgrund deren die Begriffsfamilie der Wahrheit in der Wissenschaft einen so hohen Wert hat, vollkommen aus, daß in der Wissenschaft das Wahre das Nützliche ist – ebensowenig wie es das uns Erfreuende, das Spannende oder das Ironische sein kann. Es ist eine wichtige Leistung der Menschheit, das erkannt zu haben.
Noch einmal Skeptizismus
Wenn wir tatsächlich in der hier vorgeschlagenen Richtung weiterdenken, müssen wir die verschiedenen Formen des internen Skeptizismus, also auch die Unbestimmtheit, die ich im fünften Kapitel beschrieben habe, ebenfalls als auf einzigartige Weise erfolgreichen Umgang mit der Herausforderung einer Untersuchung behandeln können. Dort habe ich gesagt, daß es meines Erachtens (obwohl es sich hier nur um einen ersten Vorschlag handelt) ein Fehler ist zu behaupten, daß ein bestimmter Künstler einem anderen überlegen ist, der zu einer ganz anderen Zeit in einem anderen Genre aktiv war, weil man angesichts dessen, wie Wert im Bereich der Kunst am besten verstanden werden sollte, entsprechende Behauptungen nicht rechtfertigen kann, und das gilt auch für die Aussage, daß jene Künstler gleichermaßen gut waren. Dieses Urteil basiert auf einer positiven Theorie des Werts der Kunst und ist daher eine Form von internem Skeptizismus. Man könnte etwas
304 ähnliches vielleicht über Humor sagen. Wenn wir sagen würden, daß die Behauptung, etwas sei wirklich lustig, obwohl es nie irgend jemand auch nur ansatzweise amüsiert hat, vollkommen absurd ist, könnten wir daraus schließen, daß ein objektiver Wahrheitsanspruch im Bereich des Humors fehl am Platze wäre.
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Wenden wir uns nun der Frage zu, wie ein solcher interner Skeptizismus sich zu jener abstraktesten Theorie der Wahrheit verhält, die ich eben skizziert habe. Wenn wir Wahrheitsansprüche in all jenen Bereichen, aus denen sie uns vertraut sind, ernst nehmen, müssen wir zunächst fragen, ob ein bestimmter Bereich als um eine Form der Untersuchung herum strukturiert verstanden werden kann. Wenn dem so ist, müssen wir erwägen, ob die beste Auffassung davon, was ein erfolgreicher Abschluß dieser Untersuchung wäre, entweder allgemein oder mit Hinblick auf einen bestimmten Teil oder Aspekt jener Praxis die Annahme bestätigt, daß es keinen erfolgreichen Abschluß jener Untersuchung geben kann. Im Bereich der Untersuchung müssen wir das als eine substantielle Frage behandeln, und darum handelt es sich hier nur um einen internen Skeptizismus. Lassen Sie mich kurz auf ein Beispiel zurückkommen, das ich im letzten Kapitel angesprochen habe. Ein Regisseur denkt über eine neue Inszenierung von Hamlet nach. Er könnte sich fragen: »Welche Interpretation des Stücks insgesamt und aller Monologe sollte unabhängig davon, wo und wann sie zur Aufführung kommt, jeder Inszenierung dieses Stücks zugrunde liegen?« Oder auch: »Von welcher Interpretation sollte ich mich angesichts meiner eigenen Reaktion auf das Stück, des Ensembles und des Budgets, das mir zur Verfügung steht, anleiten lassen?« Wie ich in jenem Kapitel
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