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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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spenden sollten, um Menschen anderer Länder, die in entsetzlicher Armut leben, zu
349 helfen. Ich hoffe, daß der hier vorgeschlagene Ansatz die in diesem Kapitel erläuterten Prinzipien der Würde mit moralischen Forderungen dieser Art verknüpfen kann, aber das wird erst in späteren Kapiteln Thema sein. Bei dem Prinzip der Selbstachtung hingegen handelt es sich nicht selbst um ein moralisches Prinzip. Es bringt vielmehr zum Ausdruck, wie Menschen zu ihrem eigenen Leben stehen sollten, und verlangt von ihnen, eine gelungene Lebensführung für wichtig zu halten. Das Prinzip der Selbstachtung erfordert, daß jeder von uns sein eigenes Leben als auf spezifische Weise wichtig behandelt.
    Stephen Darwall hat die sehr hilfreiche Unterscheidung zwischen Anerkennungsrespekt und Wertschätzungsrespekt vorgeschlagen.
14 Wertschätzungsrespekt bezieht sich auf die Achtung, die wir einer Person aufgrund ihres Charakters oder ihrer Leistungen entgegenbringen; Anerkennungsrespekt hat damit zu tun, was wir Menschen schlicht in Anerkennung ihres Status als Menschen schulden. Bei der Selbstachtung, die notwendig ist, um unserer eigenen Würde gerecht zu werden, handelt es sich um Anerkennungs- und nicht um Wertschätzungsrespekt. Nur wenige Menschen sind mit ihrem Charakter und ihren Leistungen vollauf zufrieden, und diese Menschen sind Narren. Es ist möglich – und in manchen traurigen Fällen passiert das tatsächlich –, jeden Wertschätzungsrespekt vor sich selbst zu verlieren. Aber daraus würde nicht folgen, daß wir auch den Anerkennungsrespekt für uns selbst verlieren. Tatsächlich wird überhaupt erst vor dem Hintergrund jenes Anerkennungsrespekts – oder anders ausgedrückt: dadurch, daß wir für wichtig halten, wie unser Charakter beschaffen ist und was wir leisten – verständlich, warum wir so unter dem leiden, was wir sind oder getan haben.
    Nicht jeder handelt so, als habe er Selbstachtung. Bis zu seiner Erlösung hat Sydney Carton sein Leben versoffen, im flackernden Schein seiner Kerze, deren herabtropfendes Wachs ihn in eine Art Leichentuch hüllte. Aber meistens kommt in unserem Verhalten Selbstachtung zum Ausdruck. Wir haben ge
350 wisse Vorstellungen davon, wie man leben sollte, und versuchen ungeachtet gelegentlicher Ausreißer und Fehlstarts auch, diesen Vorstellungen gemäß zu leben. Natürlich verbringen wir unsere Tage nicht damit, uns permanent voller Sorge darum zu bemühen, unserem Leben mehr Leistungswert zu verleihen oder der Tatsache, daß eine gelungene Lebensführung wichtig ist, gerecht zu werden. Solche Überlegungen sind den meisten Menschen fremd, und es würde ihr Leben nicht verbessern, mehr über sie nachzudenken. Dennoch können wir unser Leben am besten verstehen – also der Art und Weise, wie wir leben, und dem, was wir fühlen, am besten Sinn verleihen –, wenn wir annehmen, daß jeder von uns eine zwar unartikulierte, aber starke Intuition hat, daß unsere Leben wichtig sind, und zudem ebenso unartikulierte, aber starke Überzeugungen darüber, welche Errungenschaften den Leistungswert dieser Leben bestimmen.
    Ich gehe davon aus, daß das auch auf Sie zutrifft und Sie glauben, daß es von Bedeutung ist, wie Ihr Leben verläuft. Sie wollen, daß Ihr Leben erfolgreich ist, weil Sie einen solchen Erfolg für wichtig halten, nicht andersherum. Würden Sie dem zustimmen? Oder wäre die Art und Weise, wie Sie leben, auch mit der konkurrierenden Annahme erklärbar, daß Ihre Lebensweise nur von bloß subjektiver Bedeutung ist – daß also eine gelungene Lebensführung nur wichtig ist, insofern und weil Sie den Wunsch haben, Ihr Leben auf die richtige Weise zu leben? Genau über diese entscheidende Frage sollten Sie nachdenken!
    Vielleicht wollen Sie auf folgende Weise antworten: »Eigentlich ist es mir egal, ob ich mein Leben auf eine gelungene Weise führe. Mir geht es nur darum, soviel Freude wie möglich zu empfinden, und darauf zielen alle meine Entscheidungen und Pläne letztendlich ab. Zufällig gehören das Sorgen um andere und persönliche Leistungen zu den Dingen, die mir Freude bereiten. Wenn das nicht der Fall wäre, würde ich mich nicht um sie kümmern. Der Gedanke einer gelungenen Lebensführung,
351 was immer das genau bedeuten mag, übt für sich genommen keinerlei Einfluß auf mich aus.« Mit dieser Antwort werden Sie aber auf eine wohlbekannte Schwierigkeit stoßen. Freude ist in den meisten Fällen kein freistehender mentaler Zustand, wie etwa Hunger.

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