Gerechtigkeit fuer Igel
zwischen dem intrinsischen Ziel der Suche nach der Wahrheit und den Gründen, die wir für diese Suche haben.
10 Wir glauben zwar, daß der Versuch, zu verstehen, wie das Universum beschaffen ist, zu einer gelungenen Lebensführung gehört, aber wir denken nicht (wenn wir keine kruden Pragmatisten oder verrückt sind), daß wir diese Struktur identifizieren können, indem wir fragen, welche Sichtweise uns dabei helfen würde, ein gelungenes Leben zu führen.
Viele Menschen vertreten dieselbe Auffassung in bezug auf den Wert von Kunst. Sie sagen, daß es in unserer Verantwortung liegt, herauszufinden, was das Großartige an der Kunst ist, und diesen Wert dann zu achten. Es gelte aber, den Fehlschluß zu vermeiden, daß etwas deshalb schön ist, weil es unser Leben besser machen würde, wenn wir es schätzten, oder zu glauben, daß wir die Schönheit eines Kunstwerks identifizieren und ver
345 stehen können, indem wir fragen, welche Vorteile eine solche Beurteilung mit sich bringen würde. Diesem Ansatz zufolge gehört Kunst mit zu dem, was eine gelungene Lebensführung ausmacht, ist aber nicht mit ihr integriert. Das ist nicht unkontrovers. Im siebten Kapitel habe ich meine eigene, recht ähnliche Position genauer erläutert: Bedeutung und Wert eines Kunstwerks hängen davon ab, welche Gründe wir für eine entsprechende Bewertung oder Interpretation haben. Meines Erachtens ist die Kunst ebenso wie die Moral mit diesem ethischen Knotenpunkt verbunden.
Wenn moralische Werte tatsächlich am besten nicht einfach als Unterpunkt unserer ethischen Verantwortung begriffen werden sollten, sondern als mit ihr auf gleicher Ebene verbunden, können wir mittels dieser Verbindung vielleicht ein besseres und weitergehendes Verständnis von moralischen Überzeugungen herausarbeiten. Eine solche Integration wird uns allerdings nur dann gelingen, wenn wir eine Facette oder Dimension einer gelungenen Lebensführung ausmachen können, die nicht direkt unsere Pflichten anderen gegenüber zum Gegenstand hat – oder zumindest nicht auf den ersten Blick –, jene Pflichten aber zugleich beeinflußt und von ihnen beeinflußt wird. Meines Erachtens können wir hier die eng miteinander verbundenen Ideen der Selbstachtung und der Authentizität als interpretative Ansatzpunkte verwenden.
Lassen Sie mich nun zwei Prinzipien einführen, die meines Erachtens Grundbedingungen einer gelungenen Lebensführung sind. An anderer Stelle bin ich auf zwei andere, aber mit ihnen eng verwandte Prinzipien eingegangen, die ich in diesem Buch im ersten Kapitel als politische Prinzipien kurz formuliert habe und auf die ich in späteren Kapiteln zurückkommen werde.
11 Hier werde ich sie allerdings nur als ethische Prinzipien auffassen. Das erste Prinzip ist das der Selbstachtung. Es besagt, daß wir alle unser eigenes Leben ernst nehmen und anerkennen müssen, daß es wichtig ist, ob wir dieses Leben zu einem Erfolg machen oder es eine verschwendete Ge
346 legenheit ist. Das zweite Prinzip ist das der Authentizität, dem zufolge jeder von uns in besonderer Weise persönlich dafür verantwortlich ist, sich darüber klarzuwerden, unter welchen Umständen wir unser eigenes Leben als Erfolg betrachten, und dann zu versuchen, jenes Leben zu verwirklichen. Zu diesem Zweck müssen wir es als eine kohärente Erzählung oder einen harmonischen Stil verstehen, zu der oder dem wir stehen können.
Zusammengenommen ergeben diese beiden Prinzipien eine Konzeption der Menschenwürde: Selbstachtung und Authentizität sind notwendig, um mit Würde zu leben. Vielleicht kommt Ihnen diese Unterscheidung in zwei Prinzipien ein wenig künstlich vor, und man könnte ihre Namen tatsächlich auch austauschen. Man kann nur dann der Auffassung sein, daß es wichtig ist, sich Werten zu verpflichten, an denen man sein Leben ausrichtet, wenn man es auch für wichtig hält, daß das eigene Leben einen Wert hat. Warum sollte man ansonsten versuchen, die eigene Identität durch Werte zu bestimmen? Und man kann nicht denken, daß man etwas Wertvolles tut, indem man sein Leben lebt, wenn man nicht zugleich das, was man geschaffen hat, für wertvoll hält. Natürlich können Sie der Meinung sein, daß es zumindest für Sie der richtige Weg ist, den Traditionen einer bestimmten Kultur oder einer Glaubensgemeinschaft voller Hingabe zu folgen. Aber das muß Ihre eigene Entscheidung sein, und nicht ein Leben, das Ihnen andere vorschreiben. Ich werde trotzdem die beiden Prinzipien getrennt
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