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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Aber auch wenn wir aus diesem Grund entscheiden, daß psychologische Unmöglichkeit nicht zählt, so daß wir Stalin und Mutter Teresa, wie auch allen anderen, Vorwürfe machen oder sie loben können, erscheint das Kausalprinzip als willkürlich. Wir müssen zwischen einer psychologischen und einer anderen Art von Unmöglichkeit unterscheiden – nennen wir sie metaphysisch. Wir müssen der Auffassung sein, daß jemandes Wille die nicht ihrerseits verursachte Ursache seiner Handlungen sein kann, obwohl sein durch Ereignisse, die sich seiner Kontrolle völlig entziehen, geprägter Charakter es ihm verunmöglicht, anders zu handeln, als er tatsächlich handelt. Daraus ergibt sich aber nur ein weiteres Rätsel. Wenn Unvermeidbarkeit die ethisch relevante Form der Kontrolle außer Kraft setzt, dann sollte die Quelle der Unvermeidbarkeit keine Rolle spielen. Wenn Unvermeidbarkeit nicht als solche schon die ethisch und moralisch relevante Form der Kontrolle außer Kraft setzt, müssen wir fragen, warum das im Fall metaphysischer Unvermeidbarkeit anders sein sollte.
    Das System der Verantwortung
    Es könnte den Anschein haben, als sei das kausale Kontrollprinzip in jenem weithin akzeptierten System der Verantwortung verwurzelt, das ich skizziert habe. Wir sind nicht verantwortlich, wenn jemand uns schubst oder uns psychisch durch Hypnose oder einen chemischen oder elektronischen Eingriff manipuliert. Das ist gut verständlich; was wir unter solchen
404 Umständen tun, kann uns nicht als Handlung zugeschrieben werden. Aber auch als kleine Kinder und wenn wir an schweren psychischen Krankheiten leiden, sind wir nicht verantwortlich. Es könnte gerade als wichtiger Vorzug des Kausalprinzips erscheinen, daß es all diese Ausnahmen identifiziert und rechtfertigt. Tatsächlich setzt das bekannte pessimistische Argument, das ich anfangs beschrieben habe, genau mit dieser Behauptung ein. Pessimistische Inkompatibilisten vertreten die folgende Auffassung: Wenn wir akzeptieren, daß Verbrecher mit einer psychischen Erkrankung nicht bestraft werden dürfen, da sie nicht verantwortlich sind, müssen wir aus demselben Grund auch akzeptieren, daß niemand jemals verantwortlich ist, weil wir uns alle in derselben Situation befinden. Menschen, die psychisch krank sind, haben keine Kontrolle über ihr Verhalten, aber dasselbe gilt auch für Menschen, deren Handlungen vollständig verursacht sind durch Ereignisse und Gesetze, über die sie keinerlei Kontrolle haben.
    Die Struktur dieses bekannten Arguments ist aufschlußreich. Es richtet sich an Menschen, die der Ansicht sind, daß sie selbst und andere normalerweise reflexiv verantwortlich sind für das, was sie tun, die aber auch annehmen, daß dies unter anderem für Kinder und Menschen mit einer psychischen Erkrankung nicht gilt. Das Argument soll ihnen zeigen, daß sie damit bereits das kausale Kontrollprinzip akzeptieren. »Sie nehmen an«, so wird argumentiert, »daß es entscheidende Unterschiede gibt zwischen der normalen Situation und der Situation von Kindern und Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Das kausale Kontrollprinzip bringt zum Ausdruck, was Sie mit dieser Unterscheidung im Sinn haben müssen. Sie müssen meinen, daß die Entscheidungen von Menschen in diesen Ausnahmefällen durch Ereignisse verursacht werden, über die sie keine Kontrolle haben, während es im Normalfall so ist, daß der Willensakt der Person eine Kausalkette in Gang setzt, die in eine Handlung mündet. Indem wir nun den Determinismus als wahr erweisen, zeigen wir Ihnen, daß Ihre eigenen Entschei
405 dungen niemals in dieser Weise ursprünglich sind, sondern immer die Folge von Ereignissen, über die Sie keinerlei Kontrolle haben.« Diese Argumentationsstrategie nimmt an, daß die Unterscheidung, die gewöhnliche Menschen zwischen normalen und Ausnahmefällen treffen, am besten als Unterschied in den entsprechenden kausalen Pfaden erklärt wird: Entscheidungen seien zwar in Ausnahmefällen, nicht aber im Normalfall durch Ereignisse in der Vergangenheit kausal determiniert, über die der Handelnde keinerlei Kontrolle hat.
    Aber das kann es nicht sein, was gewöhnliche Menschen im Sinn haben. Sie nehmen tatsächlich an, daß sie verantwortlich für ihre Entscheidungen sind und daß das für junge Kinder und Menschen mit einer psychischen Erkrankung nicht gilt. Diese Unterscheidung kann aus ihrer Perspektive jedoch nicht durch das Kausalprinzip begründet werden. Betrachten wir zunächst das

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