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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Gründe dafür vor, sie von der Verantwortung auszunehmen.
    Determinismus und Zufall
    Ich habe bereits gesagt, daß wir das kausale Kontrollprinzip nicht mit unseren restlichen Überzeugungen integrieren könnten, wenn wir den Determinismus für wahr hielten, da dieses Prinzip dann Überzeugungen über reflexive Verantwortung widersprechen würde, die wir nicht aufgeben können. Tatsächlich gibt es in unseren restlichen Überzeugungen auch dann keine Grundlage für dieses Prinzip, wenn wir annehmen, der Determinismus sei falsch oder zumindest nicht durchgängig wahr. Betrachten wir folgendes Phantasieszenario. Nehmen wir an, der Determinismus sei als universelle Theorie falsch. Menschen treffen häufig Entscheidungen, die allein durch einen
397 ursprünglichen Willensakt verursacht werden. Es gibt jedoch Ausnahmen. Manchmal sind die Entscheidungen von Menschen tatsächlich die Folge vergangener Ereignisse oder Kräfte, die unserer Kontrolle vollkommen entzogen sind. Wir wissen allerdings, daß dies nur eine Möglichkeit ist, die manchmal eintritt. Wir verfügen über keine Statistik darüber, wie oft das der Fall ist. Niemand ist dazu in der Lage, in einem konkreten Fall zu entscheiden, welche Möglichkeit eingetreten ist: Niemand kann wissen, welche der eigenen Entscheidungen ursprünglich ist und welche determiniert. Aus der internen phänomenalen Perspektive scheinen sie alle freie Entscheidungen zu sein. Es scheint absurd zu sein anzunehmen, daß man verantwortlich ist für manche Entscheidungen, für andere hingegen nicht, ohne daß irgend jemand jemals feststellen kann, für welche. Wenn Sie das Kausalprinzip dennoch akzeptieren, wie sollen Sie sich dann selbst kritisieren, selbst nachdem Sie gehandelt haben? Sie können noch nicht einmal denken, daß Sie vielleicht für den Schaden, den Sie angerichtet haben, verantwortlich sind. Oder vielleicht auch nicht.
    Eines Tages kommt es zu einem wissenschaftlichen Durchbruch, und es wird ein Gerät produziert, mit dessen Hilfe sich feststellen läßt, welche Entscheidungen determiniert sind und welche nicht, aber nur auf der Basis von Evidenzen, die erst zwei Wochen nach der fraglichen Handlung zugänglich sind. Zwei Männer werden verhaftet wegen der Planung und Ausführung eines kaltblütigen Mordes; nach langen polizeilichen Ermittlungen erklärt das Gerät, daß der Wille des einen durch eine Art unergründlichen Gehirnkrampf die Kausalkette ausgelöst hat, an deren Ende das Verbrechen stand, während die Handlung des anderen von jeher vorherbestimmt war. Dieser Unterschied machte keinen Unterschied dafür, wie die beiden Verbrecher dachten, planten oder handelten, und nur das neue Gerät konnte ihn überhaupt entdecken. Sollte der zweite Verbrecher freigesprochen und der erste zu lebenslanger Haft verurteilt oder exekutiert werden? Das scheint absurd zu sein: Die
398 verborgene kausale Verbindung erscheint als zu losgelöst von all dem, was wir für eine Entscheidung dieser Art für wesentlich halten. Natürlich trifft das System der Verantwortung Unterscheidungen mit Bezug auf Schuldigkeit. Aber bei den Eigenschaften, die uns dazu veranlassen, Kinder und Menschen mit psychischen Erkrankungen von der Verantwortung auszunehmen, handelt es sich um Eigenschaften, die ihr Verhalten und ihr Leben sowie unsere Beziehungen zu ihnen in unzähligen anderen Hinsichten ebenfalls beeinflussen. Menschen, denen die Fähigkeit zum Nachdenken oder zur angemessenen Organisation ihrer Wünsche fehlt, leben ein Leben, das sehr anders ist als das von Menschen, die über diese Fähigkeiten verfügen. Personen, die hypnotisiert sind oder deren Gehirne durch verrückte Wissenschaftler manipuliert werden, sind einem fremden Willen unterworfen. In all diesen Fällen stellt das Fehlen von Verantwortlichkeit einen allgemeinen Status dar und kein zufälliges Beispiel einer Art Quantenlaune. Wenn ich damit richtigliege, daß es verrückt wäre, Verantwortlichkeit abhängig von der Anzeige des Geräts in meinem Phantasieszenario zu machen, muß das Kausalprinzip falsch sein. Es macht keinen Unterschied, ob wir das Szenario verändern. Ich hätte auch annehmen können, daß das Verhalten mancher Menschen immer determiniert ist und das anderer Menschen nie, statt daß das Verhalten aller Menschen manchmal determiniert ist und manchmal nicht. Es ergibt keinen ethischen oder moralischen Sinn, die beiden Kategorien unterschiedlich zu behandeln, sobald das Gerät eine von ihnen identifiziert hat.

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