Gerechtigkeit fuer Igel
genausogut sagen, daß eine Gesellschaft
401 nicht frei ist, wenn sie es ihren Mitgliedern nicht erlaubt, sich selbst in die Sklaverei zu verkaufen.
Galen Strawson hat recht: Kausale Kontrolle über tatsächliche Entscheidungen kann an sich nicht zu reflexiver Verantwortung führen. »Um für das, was man tut, wirklich moralisch verantwortlich zu sein«, so erklärt er, »muß man wirklich verantwortlich sein für das, was man ist – zumindest in wesentlichen mentalen Hinsichten«.
19 Da wir für das, was wir in diesen Hinsichten sind, nicht verantwortlich sein können, schließt er, daß Verantwortung eine Illusion ist, ob der Determinismus nun wahr ist oder nicht. Strawsons Ausgangsthese ist unausweichlich und wichtig. Wenn kausale Kontrolle der Schlüssel zu reflexiver Verantwortung ist, dann sind wir nicht verantwortlich, solange wir nicht jene Meinungen und Präferenzen, die die Ingredienzen unserer Entscheidungen sind, sowie diese Entscheidungen selbst frei wählen können. Daraus zieht Strawson allerdings den falschen Schluß. Es folgt nämlich, daß das kausale Kontrollprinzip falsch ist. Wir sind verantwortlich, wenn wir es denn sind, weil unsere Meinungen zumindest größtenteils dadurch bestimmt werden, wie die Dinge sich verhalten. Wenn unsere Meinungen einfach nur von uns abhingen, wenn wir aus einer Laune heraus entscheiden könnten, welche Meinungen in unserem Geist Wurzeln schlagen werden, dann könnten wir gar nicht verantwortlich sein.
Ebensowenig wären wir verantwortlich, wenn wir frei entscheiden könnten, welche Überzeugungen und welche Präferenzen wir haben sollten. Dann würden wir einer Grundlage entbehren, um überhaupt Entscheidungen treffen zu können. Würden wir unter solchen Umständen einen Grund für unsere Entscheidung nennen, würde sich einfach erneut die Frage der Begründung stellen – warum haben wir uns gerade für diesen Wunsch oder diese Überzeugung entschieden? –, und das würde einen unendlichen Regreß in Gang setzen. Wir müssen letzte, nicht aufgrund einer Entscheidung aufgebbare Überzeugungen und Präferenzen einfach haben , um überhaupt zu ratio
402 nalem Handeln fähig zu sein. Ein weiteres Mal führt uns das kausale Kontrollprinzip nicht zu einer Definition der Bedingungen von Verantwortung, sondern unterminiert diese.
Psychologische und metaphysische Unmöglichkeit
Nehmen wir an, der Determinismus sei falsch. Die Entscheidungen von Menschen sind größtenteils auf ursprüngliche Willensakte kausal rückführbar. Dem kausalen Kontrollprinzip zufolge sind sie daher verantwortlich für das, was sie tun. Das bekannte Phänomen psychischer Unmöglichkeit besteht jedoch fort. Martin Luther bringt eine psychologische Tatsache zum Ausdruck, wenn er erklärt, daß er nicht anders kann, als seinen neuen Glauben vor der Welt zu bekennen; Mutter Teresa ist unfähig zu egoistischen Gedanken oder Handlungen; Stalin unfähig zu großherzigen und noblen. Manchmal wird behauptet, daß Menschen sich durch eine vorangehende bewußte Entscheidung in eine bestimmte Situation gebracht haben. Mutter Teresa hat vielleicht so lange alle egoistischen Gedanken unterdrückt, bis sie keine mehr hatte. Aber das ist nicht notwendigerweise (oder auch nur normalerweise) der Fall. Jemand, der in einer strikt militärisch geprägten Umgebung geboren wurde und aufgewachsen ist, wird vielleicht nie in der Lage gewesen sein, sich einer unangenehmen oder gefährlichen Pflicht zu entziehen; jemand, der in eine fundamentalistische religiöse Familie hineingeboren wird oder in eine zornerfüllte und mißhandelte Minderheit, wird vielleicht nie fähig zu bestimmten Handlungen gewesen sein, die anderen ganz natürlich erscheinen. Wir sagen, daß es diesen Menschen aufgrund ihres Charakters psychologisch unmöglich ist, in bestimmten Fällen anders zu handeln, als sie tatsächlich handeln.
Wenn wir das Kausalprinzip attraktiv finden, müssen wir entscheiden, ob diese Art psychologischer Unmöglichkeit die reflexive Verantwortung zunichte macht, so daß wir zwar ge
403 wöhnlichen Politikern ihre vereinzelten grausamen oder tyrannischen Handlungen zum Vorwurf machen können, nicht aber jemandem, der so durch und durch böse ist wie Stalin, und obwohl es angemessen wäre, Menschen, die im allgemeinen egoistisch sind, für ihre gelegentliche Großmütigkeit zu loben, wäre es falsch, jemanden zu loben, der instinktiv so gut ist wie Mutter Teresa. Das ist keine besonders plausible Position.
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