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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Weil das Kausalprinzip unter diesen verschiedenen Umständen als willkürlich erscheint, können wir es nicht als überzeugendes ethisches oder moralisches Prinzip akzeptieren. Wenn die bloße und rohe Tatsache des Determinismus unsere Urteile über Verantwortung nicht unterminiert, solange sie zufällig verteilt auftritt, dann kann sie diese Urteile auch dann nicht unterminieren, wenn sie allgegenwärtig ist.
    399 Determinismus und Rationalität
    Das Kausalprinzip erweist sich noch in anderer Hinsicht als absurd. Menschen treffen Entscheidungen auf der Grundlage ihrer Meinungen und Werte. Das sind die Zutaten einer rationalen Entscheidung. Über unsere Meinungen und Werte haben wir jedoch nicht die Art von Kontrolle, die das Kausalprinzip für die Entscheidung selbst fordert. Wir können unsere Meinungen über die Welt nicht in einem freien Willensakt wählen. Vielmehr hoffen wir, daß unsere Meinungen dadurch bestimmt werden, wie die Welt ist. Ebensowenig können wir unsere Werte einfach wählen: unseren Geschmack, unsere Präferenzen, Überzeugungen, Bindungen und den Rest unserer normativen Persönlichkeit. Im vierten Kapitel habe ich die Auffassung vertreten, daß unsere moralischen Überzeugungen nicht durch moralische Wahrheit verursacht werden: Die Annahme kausaler Einwirkung ist falsch. Wenn sie jedoch wahr wäre, dann würden unsere Überzeugungen natürlich durch etwas außerhalb von uns verursacht werden – durch moralische Tatsachen –, und nicht durch einen ursprünglichen Willen in uns. Wenn sie falsch ist, wie ich meine, dann muß jede überzeugende kausale Erklärung unserer Überzeugungen in der Art von persönlicher Geschichte liegen, die ich in diesem Kapitel beschrieben habe. Das bedeutet, daß eine umfassende Erklärung nicht nur Tatsachen über die Gene, Familie, Kultur und Umwelt dieser Person beinhalten würde, sondern auch über deren Ursachen: die Gesetze der Physik und der Chemie sowie die Geschichte des Universums. Das trifft noch offensichtlicher zu auf den Fall unseres Geschmacks, unserer Wünsche und unserer Präferenzen. Wir können diese nicht aus dem Nichts durch einen reinen Willensakt schaffen.
    Sicher, bis zu einem gewissen Grad sind Menschen dazu in der Lage, ihre Präferenzen und Überzeugungen zu beeinflussen. Wir bemühen uns, Kaviar oder Fallschirmspringen zu mögen oder bessere Menschen zu werden, indem wir uns Kirchen
400 anschließen oder ergänzende Philosophiekurse besuchen. Aber all das tun wir nur, weil wir andere Überzeugungen, Präferenzen oder Geschmacksvorlieben haben, für die wir uns nicht entschieden haben. Menschen versuchen sich dazu zu bringen, Kaviar oder Skifahren zu mögen, weil sie aus einer Reihe von Gründen die Art von Person zu sein wünschen, die diese Dinge mag, und diesen Wunsch haben sie sich nicht ausgesucht. Sie schließen sich einer Kirche oder Selbsthilfegruppe an, um Überzeugungen auszubilden oder zu stärken, die sie bereits haben wollen. Das von mir im sechsten Kapitel skizzierte Projekt der Verantwortung verlangt von uns, aus unseren unterschiedlichen Überzeugungen ein kohärentes und integriertes Ganzes zu machen. Diese Anstrengungen zur Herstellung von Integrität reagieren jedoch auf noch tieferliegende Bestrebungen, die wir ebenfalls nicht durch einen Willensakt hervorbringen, und sie werden leider oft dadurch durchkreuzt, daß wir an bestimmte Dinge einfach nicht glauben können.
    Die Tatsache, daß wir uns nicht einfach aussuchen können, was wir glauben oder wollen, macht das kausale Kontrollprinzip ethisch und moralisch betrachtet nutzlos. Insofern ich rational bin, entscheide ich mich, wie es meine Meinungen und Werte nahelegen; in diesem Sinn wird meine Entscheidung durch Faktoren verursacht, über die ich selbst dann keine Kontrolle habe, wenn ich über einen freien Willen verfüge. Warum sollte ich dann für verantwortlicher gehalten werden, wenn ich die Macht hätte, auch unverantwortlich – also entgegen meinen Meinungen, Überzeugungen und Präferenzen – zu handeln? Erinnern wir uns daran, daß das Kausalprinzip als Interpretation des abstrakteren Prinzips eingeführt wird, daß Menschen nur dann gelobt und getadelt werden können, wenn sie Kontrolle über ihr eigenes Verhalten haben. Jemand, der irrational handelt, hat keine Kontrolle, und daher erscheint es als pervers, darauf zu bestehen, daß eine Person keine Kontrolle hat, solange es nicht in ihrer Macht steht, die Kontrolle zu verlieren. Wir könnten

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