Gerechtigkeit fuer Igel
Zigarette anzuzünden oder einen Schuß zu setzen. Würde es gewöhnlichen Menschen, die sich selbst für verantwortlich für ihre eigenen Handlungen halten, sinnvoll erscheinen, Psychopathen und Abhängige aufgrund irgendeiner wahrgenommenen Differenz in der kausalen Genese der jeweiligen Entscheidungen von der Verantwortung auszunehmen?
Wir gewöhnlichen Menschen, die wir uns für verantwortlich halten für das, was wir tun, gestehen zu, daß wir selbst manchmal nicht in der Lage dazu sind, Versuchungen zu widerstehen: Wir treffen manchmal Entscheidungen, die von unseren reflektierten Werten als unklug oder falsch verurteilt werden. Manchmal denken wir viel nach, manchmal nicht; manchmal kämpfen wir mit uns, manchmal nicht. Aber die Versuchung gewinnt immer wieder. Wir sagen »Nur dieses eine Mal« oder »Ach, was soll's« und zünden uns eine Zigarette
408 an oder bestellen Steak mit Pommes. Wir denken nicht, daß wir bei diesen Gelegenheiten hypnotisiert oder ferngesteuert sind, daß unser Wille seiner gewöhnlichen ursprünglichen Kraft beraubt worden ist. Im Gegenteil, wir denken, daß der Zustand unseres Willens schuld ist: Wir sagen, wir seien willensschwach gewesen, und fassen den Entschluß, nicht noch einmal zu sündigen. Wir deuten diesen Vorfall nicht als Eroberung unseres Geistes durch eine fremde Macht, sondern als Versagen unserer gewöhnlichen geistigen Fähigkeit, unsere reflektierten Überzeugungen zu organisieren und sie zu leiten.
Blicken wir in dieser Perspektive auf unsere Fehltritte, können wir keinen Grund dafür finden, die Situation eines Abhängigen für vollkommen anders statt für nur in einer bestimmten Hinsicht anders zu halten. Ebensowenig haben wir einen Grund anzunehmen, daß eine fremde Macht sich des Willens des Abhängigen bemächtigt hat. Wir könnten sagen, daß er noch sehr viel schwächer ist als wir, da er nachgibt, obwohl er weiß, daß die Folgen katastrophal sein werden. Tatsächlich ist er unfähig, seine unmittelbaren Impulse zu kontrollieren; vielleicht ist er im Moment des Handelns sogar unfähig, die Gefahr zu verstehen, in der er sich befindet. Damit nehmen wir jedoch keinesfalls an, daß die kausalen Pfade der mentalen Ereignisse die beiden Fälle voneinander unterscheiden. Der Unterschied zwischen ihnen ist vielmehr einer der Fähigkeiten und damit ein gradueller. Diese Erklärung bezieht sich überhaupt nicht auf das kausale Kontrollprinzip; sie macht keinerlei Vorannahmen über Determinismus oder Epiphänomenalismus.
Zusammenfassung: Kausale Kontrolle?
Lassen Sie mich zunächst klarstellen, wie meine Argumentation nicht verstanden werden sollte. Ich habe mit der These begonnen, daß der pessimistische Inkompatibilismus von uns ver
409 langen würde, praktisch all unsere ethischen und moralischen Überzeugungen und Praktiken aufzugeben – in einem Ausmaß jedenfalls, das es uns, wie ich gesagt habe, unmöglich macht, wirklich an diese Position zu glauben. Daher mag es attraktiv erscheinen zu sagen, daß das kausale Kontrollprinzip ganz unabhängig von der Stärke der Argumente, die zu seinen Gunsten vorgebracht werden, von uns aus genau diesem Grund zurückgewiesen werden muß.
21 Meine Argumentation ist jedoch eine andere. Ich habe zu zeigen versucht, daß es keine Argumente für das Kausalprinzip gibt: Es ist nicht so, daß wir es unter den Teppich kehren und vergessen müßten.
Das kausale Kontrollprinzip ist ein ethisches oder moralisches Prinzip, und daher muß jedes Argument zu seinen Gunsten interpretativ sein. Es folgt nicht einfach aus irgendeiner wissenschaftlichen oder metaphysischen Entdeckung: Das ist die Lehre aus dem ersten Teil. Es kann allein in anderen moralischen und ethischen Prinzipien eine Stütze finden, wird aber von keinem dieser Prinzipien gestützt. Es steht im Widerspruch zu dem Prinzip, daß Menschen verantwortlich sind, wenn sie versuchen, anderen zu schaden, auch wenn dieser Versuch nicht erfolgreich ist. Wenn manche Handlungen durch äußere Umstände verursacht werden und andere nicht, dann finden wir keine moralische oder ethische Erklärung dafür, warum ein Handelnder für letztere, aber nicht für erstere verantwortlich sein sollte. Dasselbe gilt für die Frage, warum es eine Rolle spielen sollte, ob die endgültige Entscheidung durch äußere Kräfte verursacht wurde, wenn all diejenigen Faktoren, die eine Entscheidung rational machen – die Meinungen und Werte, auf denen sie beruht – eindeutig durch äußere
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