Gerechtigkeit fuer Igel
Kräfte verursacht werden. Das Prinzip steht auch im Widerspruch zu den Praktiken, die es uns erlauben, solche Menschen zu loben oder zu tadeln, die psychologisch betrachtet unfähig sind, anders zu handeln. Und schließlich setzt das System der Verantwortung, anders als viele Philosophen annehmen, das Kausalprinzip auch nicht voraus. Im Gegenteil, dieses Prinzip ist
410 nicht dazu in der Lage, entscheidende Merkmale dieses Systems zu erklären. Wir weisen die Idee der kausalen Kontrolle also nicht deshalb zurück, weil wir einfach nicht an sie glauben können, obwohl die besten Argumente dafür sprechen, daß sie wahr ist, sondern weil es keine Argumente für sie gibt. Wie ich bereits bemerkt habe, wird sie trotzdem von vielen und zum Teil sehr renommierten Philosophen akzeptiert. Man beruft sich auf eine »stabile Intuition«, daß wir nur dann für eine Handlung verantwortlich sein können, wenn wir die erste Ursache dieser Handlung sind. Aber diese These setzt eine Entscheidung für das Kontrollprinzip voraus, anstatt für eine solche zu argumentieren, und trägt nichts zu der Frage bei, wie die Verbindung zwischen Ethik und Wissenschaft zu verstehen ist. Intuitionen sind nun mal keine Argumente.
Daraus folgt nicht, daß das zweite der von mir unterschiedenen Prinzipien – das Fähigkeitenprinzip – automatisch als Interpretation vorzuziehen ist. Vielleicht läßt sich auch diesem Prinzip nicht wirklich Sinn verleihen, das Scheitern des Kausalprinzips öffnet aber die Tür für eine systematischere Überprüfung dieser Alternative. Unsere ursprüngliche Überzeugung, daß Verantwortung von Kontrolle abhängt, scheint nun selbst auf dem Spiel zu stehen. Vielleicht kann das Fähigkeitenprinzip ihr mehr Sinn verleihen.
Fähigkeitenkontrolle
Die irreduzible Wichtigkeit der Entscheidung
Können wir auch dann bessere und schlechtere Entscheidungen treffen, wenn unsere Entscheidungen unvermeidbar sind, ohne daß uns dies bewußt ist? Ich denke, daß dem so ist. Hier ist ein weiteres Gedankenexperiment. Ein Maler setzt sich vor eine riesige Leinwand. Er träumt und stellt sich allerlei vor. Er macht Skizzen, zeichnet, malt, radiert, übermalt, verzweifelt,
411 raucht, trinkt, kehrt zurück zur Leinwand, malt in heftigen Pinselstrichen, tritt zurück, seufzt, zündet sich eine Zigarette an – und ist fertig. Sein Bild wird ausgestellt; wir bewundern es und feiern ihn. Bald darauf beruft ein Guru vom nördlichen Polarkreis eine Pressekonferenz ein. Er enthüllt eine exakte Kopie des großen Bildes; durch brandneue komplizierte Datierungstechniken wird bewiesen, daß es eine Sekunde früher fertiggestellt wurde, als der Künstler mit seiner Arbeit begonnen hatte. Der Guru erklärt, daß er eine Malmaschine besitze, die das Bild in Sekundenschnelle gesteuert von einem leistungsstarken Computer produziert habe, den er mit einer exakten Beschreibung aller Ereignisse von Anbeginn der Zeit gefüttert habe, zu denen natürlich auch Informationen über die Fähigkeiten des Malers, seine Überzeugungen über künstlerische Größe und seine Meinungen über den Geschmack reicher Sammler gehörten. Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Aber werden wir die Anstrengungen und die Leistung des Künstlers deshalb geringer schätzen? Vor jener Pressekonferenz haben wir das, was er vollbracht hat, geschätzt, da wir die Art und Weise bewundert haben, in der er die vielen tausend großen und kleinen Entscheidungen getroffen hat, die zu diesem wunderbaren Gemälde geführt haben. Er hat ganz vorzügliche Entscheidungen getroffen. Keine von ihnen ist nun anders; jene faszinierende Entdeckung kann den Wert keines einzigen Pinselstrichs mindern. Sie sind alle nach wie vor Ergebnis von Entscheidungen, die er selbstbewußt getroffen hat, ohne sich dabei von den Informationen jenes Gurus leiten zu lassen. Wir loben den Künstler für seine Entscheidungen, und nicht irgendeinen kleinen Homunkulus, der in seinem Inneren sitzt – seinen »Willen« – und ihn zu seinen Handlungen veranlaßt hat.
Das würden wir aber natürlich nicht tun, wenn wir herausfinden würden, daß irgendein Betrug vorliegt – wenn er etwa einen anderen Künstler für sich arbeiten ließ und dann das Lob erntete. Die von uns gelobten Entscheidungen wären
412 dann gar nicht seine gewesen.
22 Aber bloße Vorhersagbarkeit kann die Leistung nicht schmälern.
23 Das erklärt auch, warum Mutter Teresa und Stalin für das verantwortlich sind, was sie getan
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