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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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wichtig wie die unsrigen. Natürlich gibt es unzählige Arten von besonderen Beziehungen, die alles mögliche umfassen. Der Bereich der Politik ist hier besonders relevant: Wir haben gegenüber Menschen, die mit uns unter einer gemeinsamen Regierung vereinigt sind, ganz spezifische Hilfspflichten. In diesem Kapitel werde ich all diese besonderen Beziehungen jedoch beiseite lassen, um mich ihnen dann im 14. Kapitel zuzuwenden. Ich will mich hier ganz auf eine Erörterung dessen beschränken, was wir für Fremde tun müssen, weshalb ich ebenfalls ausklammere, was wir ihnen nicht antun dürfen. Wie ich im nächsten Kapitel zeigen werde, ist unsere Verantwortung, Fremden nicht zu schaden, strikter als jene, ihnen zu helfen.
    Die in diesen Kapiteln verfolgte Argumentationsstrategie habe ich bereits beschrieben. Wir versuchen zu bestimmen, was wir für andere Menschen tun müssen – und was wir ihnen nicht antun dürfen –, indem wir uns fragen, welches Verhalten gegen die Forderung verstoßen würde, die gleiche Wichtigkeit aller Menschenleben zu achten. Vielleicht kommt es Ihnen so vor, als ob damit die Dinge auf den Kopf gestellt werden. Handlungen sind doch nur dann nicht mit der gleichen Wich
461 tigkeit einer Person vereinbar, wenn sie moralisch falsch sind, so könnten Sie einwenden, und daher müßten wir zunächst feststellen, welche Handlungen falsch sind, nicht andersherum. Wie bereits bemerkt, hat im Rahmen unserer interpretativen Herangehensweise jedoch keine dieser beiden Argumentationslinien strikten Vorrang vor der anderen. Wir sind auf Auffassungen der beiden Prinzipien der Würde sowie auf Überzeugungen über richtiges und falsches Handeln angewiesen, die uns nach reiflicher Überlegung als richtig erscheinen und die so zusammenpassen, daß die entsprechenden Schlußfolgerungen in beiden Richtungen möglich sind. Ich konzentriere mich hier auf die von der Würde zur Moral verlaufende Richtung, weil es mir darum geht, die Moral in der Ethik zu verorten. Daher müssen wir mit der Konzeption der Würde beginnen, die ich im neunten Kapitel umrissen habe.
    Würde und Wohlergehen
    Wohlstand und Glück sind unter den Menschen äußerst ungleich verteilt, was zur Folge hat, daß wir häufig in der Lage sind, Fremden zu helfen, denen es schlechterergeht als uns; sei es, weil sie allgemein schlechtergestellt sind, weil ihnen ein Unglück widerfahren ist oder weil sie sich in besonderer Gefahr befinden. In solchen Situationen kann es zu zwei Arten von Konflikten kommen. Erstens können unsere eigenen Interessen mit den Interessen derer, denen wir helfen könnten, konfligieren. Was müssen wir auf uns nehmen, um ihnen trotzdem zu helfen? Zweitens können wir es mit einem Konflikt zu tun haben, der sich um die Frage dreht, wem wir helfen sollten, wenn wir nicht allen helfen können. Wie sollen wir entscheiden, wen wir retten, wenn wir nur einige Opfer eines Unfalls in Sicherheit bringen können und andere dem Tod überlassen müssen? Zusammengenommen werfen diese beiden Fragen das Problem der Hilfe in Not auf.
    462 Kant bringt im Rahmen seines Lösungsansatzes in unterschiedlichen Formulierungen den Gedanken zum Ausdruck, daß wir Fremde so behandeln sollten, wie wir von ihnen behandelt werden wollen. Das kommt uns entgegen, weil hier Ethik und Moral in der von uns angestrebten Weise miteinander verbunden werden: Im Rahmen eines Ex-ante -Ansatzes werden unsere unsere Leben betreffenden Hoffnungen mit unserem Verantwortungsgefühl für andere in Einklang gebracht. Wir müssen eine Verteilung der aus unglücklichen Zufällen entstehenden Kosten ausarbeiten, die uns sowohl aus ethischer als auch aus moralischer Perspektive als richtig erscheint. Wenn wir glauben, keine moralische Pflicht zu haben, anderen dabei zu helfen, mit ihrem Pech fertigzuwerden, müssen wir auch zustimmen, daß unsere ethische Verantwortung in ähnlichen Umständen verlangt, die Kosten unseres eigenen Pechs ebenfalls selbst zu tragen. Obwohl es hilfreich ist, daß Kants Antwort die beiden Fragestellungen auf diese Weise miteinander verbindet, trägt sie nichts dazu bei, sie zu beantworten.
    Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal das im letzten Kapitel thematisierte Problem der nur parallel zu lösenden Gleichungen zusammenfassen. Wir müssen sowohl die objektive Wichtigkeit des Lebens einer jeden Person als auch unsere eigene Verantwortung dafür, etwas von Wert aus unserem eigenen Leben zu machen, achten, ohne dabei irgendwelche

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