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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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bestimmten besonderen Verpflichtungen kann ein solcher Vergleich aber durchaus entscheidend sein. Im 14. Kapitel vertrete ich die Auffassung, daß er für bestimmte politische Verpflichtungen wesentlich ist: In Ihrer politischen Rolle als Wähler oder als Repräsentant des Staates müssen Sie Ihren Teil dazu beitragen sicherzustellen, daß Ihre Regierung das Leben aller unter ihrer Herrschaft lebenden Menschen gleichermaßen berücksichtigt. Diese politische Verpflichtung kann sich in bestimmter Hinsicht auch über nationale Grenzen hinweg erstrecken, aber sie kann für Sie als Individuum nicht alle Menschen beinhalten, nur weil Sie deren Menschsein achten.
    Daher müssen wir die Bedrohungen und Nöte, unter denen jene Opfer leiden, unabhängig davon einschätzen, ob ihre Situation insgesamt betrachtet schlechter ist als die der potentiellen Retter. Sollten wir hier einen subjektiven Test einsetzen? Sollten wir den Schaden oder Verlust so gelten lassen, wie sie von den Betroffenen selbst eingeschätzt werden? Thomas Scanlon schildert folgenden Fall: Ein Fremder bittet uns um Hilfe für den äußerst kostspieligen Bau eines Tempels für seinen Gott, den er für wichtiger hält als das Leben selbst.
 3 Wie Scanlon ganz richtig sagt, scheint es offensichtlich, daß wir nicht dazu verpflichtet sind, ihm zu helfen. Selbst wenn der Fremde recht damit hat, sein Unterfangen für derartig wichtig zu halten, haben wir nicht die Pflicht, ihm zu helfen; das gilt selbst dann, wenn er sein eigenes Leben im Fall eines Scheiterns für wertlos halten sollte. Das folgt aus der Verteilung der Verantwortlichkeiten auf Grundlage der beiden Prinzipien der Würde. Jedem von uns kommt die Aufgabe zu, das eigene Leben mit Blick darauf zu gestalten, welche Ressourcen uns voraussichtlich zur Verfügung stehen werden, insofern wir fair behandelt werden. Wir können von anderen nicht erwarten, daß sie sehr kostspielige Entscheidungen bezuschussen.
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    468 All jene, die der Ansicht sind, daß die Moral kategorisch verlangt, die Interessen aller Menschen in allem, was wir tun, als gleich wichtig zu behandeln, sollten das Beispiel Scanlons stets im Gedächtnis behalten. Wenn man von jener Prämisse ausgeht, erscheint es ganz natürlich, den Betroffenen selbst das Urteil darüber zu überlassen, ob ihre Situation sich durch unser Handeln verbessert hat. Wir könnten ihr Urteil nur zurückweisen, indem wir beanspruchen, besser zu wissen, was alles in allem betrachtet in ihrem Interesse ist. Lehnen wir diese kategorische Forderung jedoch ab und gründen die Moral statt dessen in einem interpretativen Urteil darüber, was als Mißachtung der Menschenwürde zählt, erscheinen ganz andere Abwägungen als notwendig. Wir müssen die Bedrohungen oder Nöte, mit denen sich das Opfer konfrontiert sieht, objektiv einschätzen, indem wir fragen, in welchem Ausmaß ihm dadurch Menschen normalerweise offenstehende Möglichkeiten genommen werden, seinen wie auch immer gearteten Bestrebungen nachzugehen – und nicht, für wie schlimm es seine Situation vor dem Hintergrund seiner Vorhaben und Bestrebungen selbst hält. Dieser Maßstab ist auch geeigneter, um jene Fälle zu identifizieren, in denen die Bedrohungen oder Nöte so groß sind, daß nicht zu helfen Ausdruck einer unzulässigen Mißachtung der Wichtigkeit eines anderen menschlichen Lebens ist.
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    Eine Kostenmetrik
    Unabhängig davon, welche Art von und welches Ausmaß an Schaden einem Fremden droht, ist meine Verantwortung dafür, jenen zu verhindern, desto größer, je besser mir dies ohne große Gefahren oder Einschränkungen meines eigenen Lebens möglich ist. Auch dieser Punkt wird durch den interpretativen Charakter unseres Tests verdeutlicht. Wenn es mir möglich ist, einen erheblichen Schaden abzuwenden, ohne selbst ein allzu großes Risiko einzugehen oder irgendwie in Schwierigkeiten
469 zu geraten, und ich dies nicht tue, wird es schwer, mein Verhalten als mit der objektiven Wertschätzung menschlichen Lebens vereinbar zu rechtfertigen. Je größer das Risiko oder die eventuellen Unannehmlichkeiten sind, desto plausibler kann ich mich auf die Wichtigkeit meiner persönlichen Verantwortung für mein eigenes Leben berufen. Fragen wir Juristen nach Beispielen, die den Unterschied zwischen Recht und Moral verdeutlichen, so werden wir in alter rechtswissenschaftlicher Tradition vermutlich gesagt bekommen, daß wir keiner Rechtspflicht unterliegen, ein Kind vor dem Ertrinken in einem Tümpel

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