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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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der jeweiligen Kosten entscheiden, wieviel öffentliche oder private Ressourcen für die Prävention verschiedenster Unfälle eingesetzt werden sollen. Keine Gemeinschaft gibt solange Geld aus, bis der Punkt erreicht ist, an dem weitere Ausgaben die Sicherheit nur noch marginal verbessern würden, denn das wäre äußerst irrational. Wenn es jedoch zu einem Unfall kommt – wenn etwa Bergarbeiter in einer Mine unter Tage verschüttet werden oder Astronauten aufgrund eines Materialfehlers nicht aus dem All zurückkehren können – und sich daher bestimmte, identifizierbare Menschen
474 in Lebensgefahr befinden, erwarten wir von der Gemeinschaft, mehr in die Rettung zu investieren, als es gekostet hätte, Unfällen dieser Art vorzubeugen. Auch dieser Unterschied kann anhand der Dimension der Konfrontation erklärt werden. Wir können den drohenden Tod konkreter Menschen nicht in derselben Weise ignorieren, wie wir rein als statistisch und anonym begriffene Todesfälle diskontieren, selbst wenn letztere sehr wahrscheinlich sind. Diese Metrik kann aber selbst bei kollektiven Entscheidungen dieser Art nicht immer die beiden anderen Dimensionen des Schadens und der Kosten überwiegen. Wenn eine Gemeinschaft einen so großen Teil ihres Budgets für das Gesundheitswesen der Prävention von Krankheiten widmet, daß sie sich kostspielige, nur kurzfristig lebensverlängernde Maßnahmen am Ende des Lebens nicht länger leisten kann, kommt uns diese Entscheidung nicht falsch vor.
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    Sehr großes Leid scheint die Dimension der Konfrontation irrelevant zu machen. Das Leiden einer ungeheuren Anzahl von Menschen in Afrika und anderswo an Hunger und Krankheiten steht auf der Skala des Schadens bzw. der Not sehr weit oben: Umsichtig eingesetzt können selbst relativ bescheidene internationale Hilfsleistungen viele Leben retten. Zudem sind solche Unterfangen auf der Kostenskala sehr weit unten angesiedelt: Selbst wenn die Bevölkerung reicher Nationen Beträge spenden würde, die zu klein wären, um den Erfolg des jeweils eigenen Lebens zu beeinträchtigen, kämen riesige Summen für Hilfsleistungen zusammen.
11 Die Tatsache, daß jene leidenden Menschen sehr weit von uns entfernt leben und wir keine Ahnung haben, wer sie sind oder wer von ihnen warum sterben wird, falls wir nicht in allgemeine Hilfsfonds einzahlen, scheint unsere Verpflichtung zur Hilfe überhaupt nicht zu schwächen. Wenn man bei der Frage, ob eine Hilfspflicht vorliegt, in einem konkreten Fall auf den ersten beiden Skalen der Not und der Kosten einen hohen und einen niedrigen Wert hat, kann diese Pflicht nicht einfach durch einen niedrigen Wert auf der dritten Skala der Konfrontation ausgehebelt werden.
    475 Selbst in diesen Fällen spielt die Konfrontation meines Erachtens jedoch verschiedene Rollen. Obwohl wir alle eine Pflicht haben, Wohltätigkeitsorganisationen Geld zu spenden, die anonymen und in Elend lebenden Menschen in der Ferne zu helfen versuchen, glaube ich nicht, daß wir für irgendeinen dieser Menschen auch nur ansatzweise soviel an Zeit und Geld aufzuwenden verpflichtet sind, wie wir für einen Fremden ausgeben müßten, der uns direkt vor die Füße fällt, einfach aus Achtung vor der Menschheit an sich. Je mehr Aufmerksamkeit die Öffentlichkeit weit entferntem Leid zollt, desto größer ist auch die Pflicht, darauf zu reagieren, und die Scham, die damit verbunden ist, das nicht zu tun. Über die 2004 von dem Tsunami im Indischen Ozean und 2010 vom Erdbeben in Haiti angerichtete Zerstörung ist auf dramatische Weise berichtet worden, und die enorme Reaktion in Form von Spenden aus der »ersten Welt« zeigt, welchen Unterschied eine so erzeugte Unmittelbarkeit macht. Sollte das so sein? Wenn sich die Fernsehöffentlichkeit nicht für das Leiden anderer interessiert, enthebt uns das nicht der Pflicht, Abhilfe zu schaffen, wenn wir von Leid erfahren. Trotzdem halte ich den Impuls, jenen Menschen mehr Hilfe zukommen zu lassen, deren Leid uns medial aufgezwungen wird, für durchaus richtig. Stellen Sie sich vor, es gäbe zwei Wohltätigkeitsorganisationen. Die eine sammelt, um Hilfsleistungen direkt an hungerleidende Menschen in armen Ländern zu verteilen. Die andere verspricht, das gespendete Geld zu sparen, um dann in hundert Jahren weit mehr Menschen helfen zu können. Meines Erachtens sollten Sie, selbst wenn Sie keinen Zweifel daran haben, daß sich das Kapital der zweiten Organisation in dem vom Management versprochenen Ausmaß vergrößern

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