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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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anderen beiden sterben. Wenn Sie einen guten Grund für diese Entscheidung haben – wenn es sich bei der Einzelperson etwa um Ihre Frau handelt –, dann bringen Sie damit keineswegs zum Ausdruck, daß das Leben eines der Menschen, die Sie ihrem Schicksal überlassen, objektiv weniger wichtig ist als das Ihrer Frau.
13 Unserem interpretativen Test zufolge würde hier die Tatsache Ihrer Liebe oder Ihrer besonderen Verantwortung als Grund in Frage kommen. Ein unabhängiger Grund wäre auch nicht notwendig, wenn es sich bei dem einzelnen Schwimmer nicht um Ihre Frau, sondern um einen Freund handelt; wenn alle Schwimmer Ihnen unbekannt sind, der einzelne Schwimmer aber sehr viel jünger ist als die anderen beiden und Sie denken, daß es wichtiger ist, das Leben eines jungen Menschen zu retten; oder wenn alle Schwimmer Ihnen unbekannt sind, Sie aber wissen, daß es sich bei dem einen um einen brillanten Musiker, Philosophen oder Friedensstifter handelt, und Sie Musik, Philosophie oder Frieden für besonders wichtig für sich selbst oder für die Welt halten. Sie leugnen mit einer solchen Entscheidung nicht die gleiche Wichtigkeit allen Menschenlebens, da Sie wissen, daß einer sterben muß, und dementsprechend Urteile der Fairneß oder des Werts für andere fällen, um zu entscheiden, wer das sein wird. Denken Sie daran, daß Sie, selbst wenn es keinen dritten Schwimmer gäbe, nicht verpflichtet wären, die beiden Schwimmer zu retten, wenn das Risiko für Sie sehr groß wäre. Sie können Ihrer eigenen Sicherheit Priorität einräumen, ohne die gleiche objektive Wichtigkeit des Lebens der beiden anderen zu leugnen, die Sie hätten
479 retten können. Warum sollte es Ihnen dann untersagt sein, der Sicherheit einer anderen Person Vorrang zu geben, deren Leben Sie einen besonderen instrumentellen Wert entweder für sich selbst oder für andere zuschreiben?
    An dieser Stelle sehen wir uns mit einer anderen Gefahr konfrontiert. Unterliegen die angemessenen Gründe, die man haben kann, um unter mehreren Menschen, die in Lebensgefahr schweben, einige zu bevorzugen, keiner Einschränkung? Nehmen wir an, Sie wissen nichts über die drei Schwimmer, außer daß von den beiden Schwimmern der eine schwarz und der andere jüdisch ist, während es sich bei dem einzelnen Schwimmer um einen weißen Christen handelt. Wäre es mit der Anerkennung der gleichen objektiven Wichtigkeit aller Menschenleben vereinbar, den weißen Christen zu retten und die anderen beiden ertrinken zu lassen, weil der eine schwarz und der andere jüdisch ist? Nein, denn bestimmte Gründe, Menschen zu bevorzugen, sind nicht mit der Achtung vor der Menschheit zu vereinbaren. Denken Sie hier an Präferenzen, von denen wir mit guten Gründen annehmen, daß sie Ausdruck oder Restbestand der gegenteiligen Überzeugung sind, daß manche Leben wichtiger sind als andere.
    Auch hier können wir unsere intuitive Reaktion als interpretative Annahme rechtfertigen. In einer Welt voller Vorurteile beziehungsweise in einer Welt, in der soziale Strukturen am besten durch historische Vorurteile erklärt werden, sollten wir Einstellungen und Handlungen, die solchen Vorurteilen entsprechen, solange nichts klar dagegenspricht als Ausdruck dieser Vorurteile verstehen. Man kann begründen, warum es besonders wichtig ist, daß der Musiker oder der Friedensstifter überlebt, ohne vorauszusetzen, daß eine gelungene Lebensführung bei diesem Menschen objektiv wichtiger ist als bei anderen, und Sie können sich auf Gründe einer anderen Art, nämlich der Fairneß, berufen, um zu rechtfertigen, warum Sie das Leben eines jungen Mannes eher als das zweier viel älterer Menschen retten sollten. Sie könnten zum Beispiel sagen, daß letz
480 tere im Unterschied zu ersterem bereits einen beachtlichen Teil ihres Lebens hinter sich haben. Auf ethnische oder religiöse Eigenschaften vollkommen Fremder können Sie sich jedoch nicht beziehen, ohne damit den Eindruck zu vermitteln, daß die Überzeugung, letztlich seien doch nicht alle Menschenleben von gleicher Wichtigkeit, in Ihrer Entscheidung eine Rolle gespielt hat.
    Wenden wir uns nun der abstraktesten Version des Szenarios der drei Schwimmer und der vielen Haie zu. Nehmen wir an, Sie haben keinerlei persönlichen Grund dafür, den einzelnen Schwimmer anstelle der anderen beiden zu retten, und Sie haben kein Los gezogen, um allen eine gleiche Chance auf Rettung zu geben. Nun retten Sie den einen statt die zwei, einfach weil Ihnen danach ist.

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