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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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bestimmte sprachliche Formel in Gemeinschaft mit einer bestimmten Absicht die Natur eines äußeren Gegenstandes, sogar eines menschlichen Wesens vollständig umwandelt.
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    Selbst wenn wir den alchemistischen Aspekt beiseite lassen, wird uns die Zirkularität wahrscheinlich Sorgen bereiten. Wie können wir erklären, daß die Aussage »Ich verspreche es!« eine moralische Verpflichtung entstehen läßt, ohne das erst noch zu Beweisende bereits vorauszusetzen?
 7 Es ist verlockend, die entsprechende Verpflichtung damit zu erklären, daß derjenige, dem wir etwas versprechen, sich dann darauf verläßt und darum einen Schaden erleidet, wenn wir uns nicht daran halten. Der andere wird sich aber nur dann auf das Versprechen verlassen – oder anders ausgedrückt: mein Versprechen wird ihm nur dann einen weiteren Grund geben, ein entsprechendes Verhalten zu erwarten –, wenn er davon ausgeht, daß damit eine Ver
515 pflichtung einhergeht. Wir können also nicht darauf verweisen, daß jener Mensch sich auf unser Versprechen verläßt, ohne vorauszusetzen, daß ein Versprechen eine Verpflichtung nach sich zieht, und genau das versuchen wir ja zu erklären.
    In diese Schwierigkeiten geraten wir aber nur, weil so viele Philosophen im Versprechen eine unabhängige und eigenständige Grundlage moralischer Verantwortung zu erkennen glauben. Manche halten es letztlich sogar für die einzige Grundlage aller Pflichten. Sie führen all unsere existierenden moralischen und politischen Verantwortlichkeiten darauf zurück, daß wir in irgendeinem mythischen Vorgang zugestimmt und damit versprochen haben, den moralischen Konventionen unserer Gemeinschaft zu genügen, und dazu gehört auch die Konvention, ein gegebenes Versprechen einzuhalten. In dieser Argumentation wird das gewünschte Ergebnis jedoch noch offensichtlicher und direkter vorausgesetzt. Etwas weiter oben habe ich kurz mehrere andere Versuche diskutiert, philosophisch zu begründen, warum wir zumindest eine eingeschränkte Pflicht haben, bestehende moralische Konventionen aufrechtzuerhalten, und dabei auf die allgemeine Pflicht, dem öffentlichen Wohl zu dienen, gerechte Institutionen zu unterstützen oder kein Trittbrettfahrer zu sein, verwiesen. All diese Ansätze scheitern aber aus den bereits genannten Gründen, sowohl im Großen wie auch im Einzelfall, weil es ihnen nicht gelingt, die moralische Kraft von Versprechen zu erklären.
    Wir müssen von dieser schlechten Angewohnheit ablassen und einsehen, daß Versprechen keine unabhängige Quelle einer moralischen Pflicht eigener Art sind. Sie spielen vielmehr eine wichtige, wenn auch nicht exklusive Rolle bei der Festlegung der konkreten Reichweite einer allgemeineren Verantwortung, nämlich der, anderen nicht zu schaden, indem wir sie zunächst ermutigen, ein bestimmtes Verhalten von uns zu erwarten, dieser Erwartung dann aber nicht entsprechen. Dabei handelt es sich um einen besonderen Fall einer noch allgemeineren Verantwortung, um die es im ganzen vierten Teil
516 dieses Buches geht: die Würde anderer und damit auch die eigene Würde zu achten. Die Analyse der moralischen Struktur von Versprechen gehört daher zu unserem übergreifenden interpretativen Unterfangen, zu bestimmen, was aus den beiden Prinzipien der Würde in der Praxis folgt. So können wir erklären, warum Versprechen eine Verpflichtung nach sich ziehen, ohne das erst zu Beweisende bereits vorauszusetzen: Wir sind allgemein verpflichtet, anderen Menschen nicht zu schaden, und diese Verpflichtung kommt unter anderem in der spezifischeren Verpflichtung zum Ausdruck, von uns absichtlich erzeugte Erwartungen auch zu erfüllen. Besonders deutlich wird das, wenn wir eine Erwartung mittels eines Versprechens ermutigen. Das ist aber nur deshalb der Fall, weil wir dann mit teilweise konventionell festgelegten Formulierungen eine zugrundeliegende Verantwortung verdeutlichen können, die ansonsten eher schwammig bliebe.
    Ermutigung und Verantwortung
    Unabhängig davon, ob Sie das selbst gezielt ermutigen oder nicht: Andere Menschen werden im Verlauf Ihres Lebens unvermeidlich versuchen, Prognosen über Ihr zukünftiges Verhalten zu machen, auf die sie sich dann bei ihren eigenen Vorhaben verlassen. Ihre Regierung, Werbeagenturen, Rivalen, Familienmitglieder, Partner, Freunde und Gegner versuchen, Ihr zukünftiges Handeln, Ihre Wünsche und Ihr Kaufverhalten vorherzusehen. Sie können nicht vermeiden, entsprechende Erwartungen zu schüren oder

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