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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Beispiel, welchen Grad an Gewißheit A vermitteln will. Alles in allem kann man jedenfalls mit einiger Plausibilität behaupten, daß das Beispiel der Teilnahme an der Konferenz Prinzip F erfüllen würde. In anderen Fällen ist das aber nicht so klar. Charles Fried, dessen Arbeit über Versprechen ebenfalls sehr einflußreich ist, führt ein anderes Beispiel an: Stellen Sie sich vor, daß ich Ihnen ein Haus neben einem leeren Grundstück verkaufen will und Ihnen, um Sie zum Kauf zu ermutigen, sage, daß ich vorhabe, selbst ein Haus auf jenem noch leeren Grundstück zu bauen und dort den Rest meines Lebens zu verbringen.
10 Einige Jahre später ändere ich aber meine Meinung und verkaufe das immer noch unbebaute Grundstück an eine Tankstellenkette. Fried ist der Meinung, daß ich damit insgesamt gesehen keine Verpflichtung verletze, während Scanlons Prinzip F ein anderes Urteil nahelegt.
    Oder stellen wir uns vor, daß es um sehr viel höhere Einsätze geht als um die Teilnahme an einer Konferenz. Ein junger Arzt läßt sich in einer kleinen Gemeinde nieder und will den anderen irgendwie signalisieren, daß er vorhat, dort zu bleiben, um auf diese Weise Patienten zu gewinnen, etwa indem er viel Geld in die Einrichtung und Ausrüstung seiner Praxis steckt. Nachdem nun die meisten der vor Ort wohnenden Patienten zu ihm gewechselt sind und sich der einzige andere Arzt der Gemeinde zur Ruhe gesetzt hat und fortgezogen ist, erhält der junge Arzt plötzlich die Chance, eine neue Arbeitsstelle in einer Universitätsklinik mit einer berühmten Forschungsabteilung anzutreten. Was schuldet er seinen neuen Patienten angesichts seiner Verantwortung, ihnen nicht zu schaden? Was ergibt sich aus seiner ethischen Verantwortung, aus seinem eigenen Leben etwas Wertvolles zu machen? Solche Fragen sind schwer zu be
522 antworten, weil zahlreiche Variablen gegeneinander abgewogen werden müssen.
    Es gibt eine Reihe von Sichtweisen, die hier durchaus vernünftig erscheinen. Scanlons Prinzip legt nahe, daß der Arzt die Menschen in seiner Gemeinde nicht im Stich lassen darf, weil er sein Bestes getan hat, um sie dazu zu bewegen, ihren alten Arzt aufzugeben. Es ist aber auch nicht unplausibel, diese Position mit Fried und anderen als zu anspruchsvoll zu kritisieren. Demnach muß man einfach akzeptieren, daß Umstände sich ändern können und es darum immer riskant ist, sich auf Voraussagen zu verlassen, selbst wenn man dazu gezielt ermutigt wurde. Es hätte diesen Leuten klar sein müssen, so könnte man argumentieren, daß es für einen jungen, ambitionierten Doktor sehr verlockend sein würde, irgendwann wieder wegzuziehen, und darum können sie sich nicht beschweren, wenn es nun genau so gekommen ist. Außerdem wäre für die meisten Menschen auch eine Reihe weiterer Fragen relevant, auf die ich bisher noch nicht eingegangen bin. Was wäre, wenn der junge Arzt jemanden gefunden hätte, der ihn ersetzen kann? Würde damit jede Verpflichtung, in der Gemeinde zu bleiben, erlöschen?
    Die Rolle von Versprechen
    Eine derartige Ungewißheit in grundlegenden moralischen Fragen kann oft frustrierend und lähmend sein. Stellen Sie sich vor, ich will, daß Sie morgen mein Feld beackern, und weiß, daß ich Sie dazu nur veranlassen kann, wenn Sie überzeugt sind, daß ich in der Folge verpflichtet wäre, Ihnen übermorgen ebenfalls zu helfen. Wenn Sie ernsthafte Zweifel daran hätten, daß meine moralische Verantwortung auch dann Bestand hätte, wenn sich meine Situation über Nacht ändert, würden Sie zögern, mir zu helfen, und darum würde ich unter Umständen versuchen, nach Möglichkeit alle Gründe zu beseitigen, die ich in Ihren Augen haben könnte, meiner erklärten Absicht letzt
523 lich nicht nachzukommen. Ich könnte zum Beispiel alle paar Stunden zu Ihrem Bauernhof fahren, um Ihnen vollmundig zu versichern, daß ich vorhabe, Ihnen ganz unabhängig davon, was in meinem Leben ansonsten geschieht, zu helfen. In diesem Fall hätte ich so viel Mühe darauf verwandt, eine bestimmte Erwartung zu stärken, daß es selbst dann, wenn sich die Umstände tatsächlich ändern sollten, fast unmöglich wäre, eine diesbezügliche Verantwortung zu leugnen. Ich müßte, um aus dieser Verantwortung entlassen zu werden, eine viel anspruchsvollere Entschuldigung anbringen, als es der Fall gewesen wäre, wenn ich mich weniger angestrengt hätte – und all das ist Ihnen klar. Sie könnten also in diesem Fall mit sehr viel größerer Gewißheit

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