Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
Vom Netzwerk:
hätte ich Ihnen vielleicht versichert, daß Sie mir mit Ihrer Abwesenheit keinen
519 Schaden zufügen würden, und in diesem Fall hätten Sie mir tatsächlich nicht geschadet. Wenn Sie bei Ihrem Vorgehen aber nicht sicher wußten, was es für mich bedeuten wird, wenn Sie mich hängenlassen, dann haben Sie mir bereits damit geschadet, daß Sie riskiert haben, mich auf andere Weisen zu schädigen. Zudem haben Sie mir auf dem Fall der Lüge vergleichbare Weise geschadet. Sie haben die Informationen, auf denen meine Entscheidungen beruhen, verändert und sie – in diesem Fall rückwirkend – verfälscht, und zwar in zwei Schritten: Sie haben mich erstens ermutigt, bestimmte Erwartungen zu haben, und sich dann zweitens selbst Lügen gestraft. Auch wenn Sie nicht vorhatten, mich mit Ihrem Vorschlag der gemeinsamen Konferenzteilnahme irrezuführen, haben Sie Ihre Aussage nachträglich absichtlich zu einer Unwahrheit gemacht. Das ist ebenso wie eine Lüge unabhängig davon, ob weiterer Schaden daraus entsteht, bereits für sich genommen ein Schaden.
    Nun müssen wir uns der zweiten Frage zuwenden. Hatten Sie eine moralische Verantwortung, mir weder auf jene erste, offensichtlichere Weise zu schaden – was der Fall wäre, wenn ich die Konferenz hassen würde – noch auf die eben beschriebenen subtileren Weisen? Wir haben es hier nicht einfach mit einem Konkurrenzschaden zu tun, den zu vermeiden nicht in Ihrer Verantwortung lag. Sie haben mich gezielt ermutigt, meine Erwartungen und Pläne zu ändern – Sie sind mit anderen Worten in meine Bahn geschwommen. Eine solche Handlung muß irgendwelche moralischen Folgen für Sie haben. Sie benötigen einen Grund dafür, den von Ihnen geweckten Erwartungen nicht entsprochen zu haben, und weder eine Laune noch Gleichgültigkeit sind hierfür ausreichend. Andererseits würde es, wie bereits erwähnt, Ihre Kontrolle über Ihr eigenes Leben zu stark einschränken, wenn es immer moralisch falsch wäre, seine Meinung zu ändern, unabhängig davon, wie das gerechtfertigt wird. Wir brauchen also eine weniger rigide Auffassung davon, was Sie mir aus Achtung vor meiner Würde
520 schulden. Wie diese Linie genau gezogen werden muß, ist aber sehr schwer zu sagen.
    Hier muß von Fall zu Fall eine ganze Reihe von Faktoren berücksichtigt werden. Mit wieviel Nachdruck haben Sie mich ermutigt, eine bestimmte Erwartung zu haben? Wie schwer wäre es für Sie gewesen, diese Erwartung nicht zu enttäuschen? War, als Sie mich ermutigt haben, bereits absehbar, daß es zu Schwierigkeiten kommen würde, oder nicht? Wie wahrscheinlich war es, als Sie sich gegen die Teilnahme an der Konferenz entschieden haben, daß ich auf jene offensichtlichere Weise zu Schaden kommen würde, und ist dieser Schaden letztendlich eingetreten? Es kann durchaus sein, daß wir uns hinsichtlich der letzten Frage sowohl im betreffenden Augenblick selbst wie auch rückblickend uneinig bleiben, zum Beispiel weil wir unterschiedlicher Meinung darüber sind, ob ich aus meiner Konferenzteilnahme einen Vorteil gezogen habe. Wessen Meinung wäre in diesem Fall für die Frage Ihrer moralischen Verantwortung relevant: Ihre oder meine?
    Damit haben wir kaum begonnen, an der Oberfläche dieses Themas zu kratzen. Eine große Anzahl weiterer Erwägungen kann relevant sein, wenn wir uns fragen, ob es moralisch falsch ist, in einem bestimmten Fall persönlich ermutigte Erwartungen zu enttäuschen. Mein Ansatz folgt hier mehr oder weniger Thomas Scanlons sehr einflußreichen Überlegungen zu Versprechen, obwohl unsere Herangehensweisen sich letztendlich in bestimmten Punkten unterscheiden.
 8 Er schlägt folgendes »Prinzip F« vor:
     
    Wenn (1) Person A freiwillig und absichtlich Person B veranlaßt, von A eine Handlung X zu erwarten (insofern B nicht zustimmt, daß A diese Handlung nicht ausführt), (2) A weiß, daß B sich dessen sicher sein will, (3) A darauf hinarbeitet, B diese Gewißheit zu geben, und Grund hat anzunehmen, daß sie darin erfolgreich war, (4) B weiß, daß A all die eben beschriebenen Überzeugungen und Absichten hat, (5) A will, daß B all dies weiß, und tatsächlich weiß, daß dem so ist, und (6) B von As entsprechender Überzeugung und Absicht weiß, dann ist A,
521 falls keine entsprechende Rechtfertigung vorliegt oder falls B nicht zugestimmt hat, daß X nicht ausgeführt wird, zu X verpflichtet.
 9
     
    Diese Beschreibung enthält mehrere Faktoren, die eine Frage des Grades sind; relevant ist zum

Weitere Kostenlose Bücher