Gerechtigkeit fuer Igel
entstehen lassen und Menschen moralisch ein Recht darauf haben, daß ihre Erwartungen berücksichtigt werden.
2 Wie ich im folgenden zeigen werde, hat dieser Vorschlag einiges für sich, bedarf aber der Ergänzung. Nicht alle Erwartungen lassen Rechte entstehen, und darum muß herausgearbeitet werden, warum von einer bestimmten Wortwahl oder Rolle geweckte Erwartungen diese besondere moralische Kraft haben. Eine weitere allgemeine moralische Pflicht, auf die Philosophen in diesem Zusammenhang verwiesen haben, ist die der Achtung nützlicher und gerechter sozialer Institutionen.
3 Es gibt aber viele Institutionen, die man auf diese Weise beschreiben könnte und die ich nicht zu achten verpflichtet bin – zum Beispiel die landwirtschaftlichen Produktionssysteme bestimmter afrikanischer Stämme –, obwohl es mir durchaus möglich wäre, sie zu unterstützen, indem ich zum Beispiel die entsprechenden Produktionsquoten respektiere; und das ist selbst dann der Fall, wenn die betreffenden Menschen von mir diesen Respekt erwarten.
Wieder andere Philosophen vertreten die Auffassung, daß man aufgrund allgemeiner Prinzipien der Fairneß soziale Institutionen nicht in Anspruch nehmen darf, ohne auch die damit einhergehenden Lasten mitzutragen. Man darf also, mit anderen Worten, kein Trittbrettfahrer sein.
4 Dadurch lassen sich aber nur verhältnismäßig wenige Rollenverpflichtungen erklären. So kann es zum Beispiel sein, daß Eltern ihre Rolle nicht zu ihrem eigenen Vorteil auslegen dürfen, aber trotzdem mit ihr zusammenhängende moralische und auch rechtliche Verantwortlichkeiten haben. Das Phänomen des Versprechens scheint besser zum Verbot des Trittbrettfahrens zu passen, da man, wenn man etwas verspricht, normalerweise versucht, von jener Institution zu profitieren. Oft wollen wir damit denjenigen, dem wir etwas versprechen, dazu bewegen, etwas für uns Vorteilhaftes zu tun. Das muß aber nicht der Fall sein,
513 und selbst gewissermaßen unentgeltlich gegebene Versprechen ziehen eine Verpflichtung nach sich.
Könnte man argumentieren, daß auch jemand, der unabhängig von seinen eigenen Interessen ein Versprechen gibt, von dieser Institution profitiert, weil sie ihm in anderen Fällen nützt und weil sie, ganz unabhängig davon, worauf er es in der konkreten Situation abgesehen hat, auch sein interesseloses Versprechen erst ermöglicht? Ich würde das verneinen, weil kein allgemeines moralisches Prinzip von uns fordert, sich an den Kosten von etwas zu beteiligen, aus dem ich einen Vorteil ziehe. Obwohl es egoistisch sein mag, an einem Straßenmusiker vorbeizugehen, ohne ihm ein wenig Geld zu geben, habe ich damit doch selbst dann, wenn ich seine Musik genossen habe – und sogar dann, wenn ich kurz stehengeblieben bin, um zuzuhören –, keine Verpflichtung verletzt.
5 Ein Versprechen zu geben ist natürlich etwas anderes. Wenn ich etwas verspreche, habe ich tatsächlich eine gewisse Verpflichtung, und zwar eben gerade deshalb, weil ich etwas versprochen habe. Philosophen, die mit Bezug auf ein allgemeines Prinzip der Fairneß erklären wollen, warum aus Versprechen Verpflichtungen entstehen, können aber die Tatsache, daß das tatsächlich der Fall ist, nicht als Grund anführen, warum das Halten von Versprechen eine Forderung der Fairneß ist. Wir müssen also eine bessere Erklärung der Versprechen und Rollenkonventionen innewohnenden moralischen Kraft finden, und meines Erachtens können wir dafür auf die in den vorangehenden Kapiteln erörterten Grundprinzipien der Würde zurückgreifen.
514 Versprechen
Ein Rätsel
Versprechen lassen Verpflichtungen entstehen. Normalerweise ist diese Aussage durchaus zutreffend, vor allem wenn ohne das Versprechen keine Verpflichtung vorliegen würde. Eine so simple Formulierung ist aber nicht ohne Schwierigkeiten, und tatsächlich werden diese in der entsprechenden philosophischen Literatur nicht immer vermieden. Versprechen bekommen dadurch etwas Magisches. Hume hat mit der ihm eigenen Scharfzüngigkeit zum Ausdruck gebracht, was daran problematisch ist:
Ferner bemerke ich: Jedes neue Versprechen legt der versprechenden Person eine neue sittliche Verpflichtung auf. Gesetzt nun, diese neue Verpflichtung entspringe aus ihrem Willen, so wäre dies einer der geheimnisvollsten und unbegreiflichsten Vorgänge, die überhaupt gedacht werden können; man könnte ihn sogar mit der Transsubstantiation und kirchlichen Weihe vergleichen, wobei ja auch eine
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