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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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hat, verpflichtet ist, es zu halten. Viele Philosophen und Juristen haben sich ausführlich mit der »Logik« oder dem »Wesen« von Pflichten und Verpflichtungen befaßt.
 1 Gibt es einen Unterschied zwischen der Aussage, daß jemand einem leidenden
510 Menschen helfen sollte, und der Behauptung, daß es seine Pflicht ist zu helfen, und, wenn ja, worin besteht er? In welchem Verhältnis stehen Verpflichtungen und Rechte? Folgt aus der Tatsache, daß Sie verpflichtet sind, mir auf bestimmte Weise zu helfen, automatisch, daß ich ein Recht auf diese Hilfe habe? Kann man von allen Pflichten oder Verpflichtungen von denjenigen, gegenüber denen sie bestehen, entbunden werden? Obwohl einige dieser Fragen durchaus interessant sind, werde ich an dieser Stelle nicht auf sie eingehen, weil sie meine eigentliche Fragestellung nicht tangieren, die lautet: Inwiefern sind die mit besonderen Beziehungen einhergehenden Pflichten und Verpflichtungen darin verankert, was in Ihren Augen eine gelungene Lebensführung ausmacht, und wie wirken sie sich wiederum auf diese aus?
    Soziale Tatsachen haben einen außerordentlich starken Einfluß auf performative und assoziative Verpflichtungen. Was als Versprechen zählt oder unter welchen Umständen es gerechtfertigt ist, ein gegebenes Versprechen zu mißachten, ist von historischen, lokalen und anderen Umständen abhängig. Wenn sich Rechtsbeziehungen durch performative Akte ändern, sind solche Unterschiede besonders dramatisch und offensichtlich – denken Sie etwa an das Vertragsrecht, die Ehe oder an Arbeitsverhältnisse –, sie können aber auch dann deutlich hervortreten, wenn es nur um moralische Verpflichtungen geht. Welche Verpflichtungen mit der Rolle als Elternteil, Kind, Kollege oder Staatsbürger verbunden sind, wird ebenfalls von kontingenten Konventionen bestimmt. In manchen Gemeinschaften geht man davon aus, daß familiäre Verpflichtungen sich auch auf weiter entfernte Verwandte erstrecken als in anderen, und auch was Eltern im Alter von ihren Kindern erwarten können, hängt davon ab, was in ihrem sozialen Milieu üblich ist. Welche Ansprüche man mit Recht an Kollegen im selben Unternehmen oder allgemeiner im Arbeitsleben stellen kann, geht auf je nach Gewerbe oder Berufsfeld sehr unterschiedliche Üblichkeiten zurück. In anderen Fällen werden Verpflichtungen auf noch
511 kontingentere Weise durch eine Wahl oder eine Abstimmung festgelegt. So ist zum Beispiel der Gedanke weit verbreitet, daß Menschen eine moralische Verpflichtung haben, beinahe allen parlamentarisch verabschiedeten Gesetzen zu gehorchen.
    Die entscheidende Rolle, die Konventionen und soziale Praktiken bei der Festlegung von Verpflichtungen spielen, wirft schwierige philosophische Fragen auf. Konventionen sind schlicht empirische Tatsachen. Wie ist es möglich, daß sie echte moralische Pflichten entstehen lassen und inhaltlich prägen? Wie kann es sein, daß ich verpflichtet bin, meinen Cousin zweiten Grades wie einen Bruder zu behandeln, wenn ich an einem bestimmten Ort lebe, ihn aber ignorieren darf, wenn ich woanders zu Hause bin? Wieso handelt es sich hier nicht einfach um eine sozialanthropologische Tatsache, die keinerlei moralische Relevanz hat? Warum kann die Formulierung »Ich verspreche es« einfach aufgrund der Tatsache, daß man ihr moralische Kraft zuspricht, tatsächlich eine solche entwickeln? Müssen wir eingedenk des Hume'schen Prinzips das Phänomen der Verpflichtung nicht insgesamt als gigantischen Fehler betrachten? Es stimmt natürlich, daß die in den letzten beiden Kapiteln diskutierten moralischen Verantwortlichkeiten von den vorliegenden Tatsachen abhängen. Ob Sie verpflichtet sind, Hekuba zu retten zu versuchen, hängt davon ab, ob Sie schwimmen können oder eine Rettungsleine haben. Daß dem so ist, liegt daran, daß diese Tatsachen aufgrund eines sehr allgemeinen Prinzips, in dem unsere Hilfspflichten gegenüber Fremden fundiert sind, relevant werden. Im Gegensatz dazu scheinen soziale Praktiken performative und assoziative Verpflichtungen gewissermaßen aus dem Nichts zu schaffen. Es ist fast wie Alchemie: Nichtmoralische Tatsachen werden in moralische umgewandelt.
    In der Philosophie sind dieser Herausforderung andere sehr allgemeine moralische Prinzipien entgegengestellt worden, die wie unsere allgemeine Pflicht, Fremden in Not zu helfen, kon
512 tingenten Tatsachen moralische Kraft verleihen können. So wurde zum Beispiel argumentiert, daß Konventionen Erwartungen

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