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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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manchmal zu enttäuschen, zumindest nicht ohne Ihre Verantwortung für eine gelungene Lebensführung auf katastrophale Weise zu vernachlässigen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, daß ich zustimme, an einer bestimmten Konferenz teilzunehmen, weil ich davon ausgehe, daß Sie dort ebenfalls sein werden. Selbst wenn Sie das wissen, tun Sie mir kein Unrecht an, wenn Sie sich letztlich gegen eine Teil
517 nahme entscheiden. Wenn wir befreundet sind, sollten Sie mir Bescheid sagen, das ist aber auch schon alles. Aber wie stehen die Dinge, wenn Sie mich gezielt ermutigt haben zu denken, daß Sie an der Konferenz teilnehmen werden? Nehmen wir an, Sie haben etwas in der folgenden Art zu mir gesagt: »Ich weiß, daß sich die Konferenz nicht besonders spannend anhört. Aber wäre es nicht gut, wenn wir beide hingingen? Wir kommen so selten dazu, uns zu unterhalten, und das wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit.« Dann würde die Sache doch anders aussehen. Aber was genau hätte sich geändert?
    Wenn Ihre anfängliche Aussage eine Lüge war – wenn Sie nie die Absicht hatten, an der Konferenz teilzunehmen –, dann haben Sie mir bereits allein mit dieser Handlung geschadet. Warum das so ist, kann man mit Bezug auf die Idee der Würde erklären: Jede Lüge (die nicht unter ganz spezifischen Umständen ausgesprochen wird, wie etwa im Rahmen bestimmter Spiele, in denen Lügen erlaubt ist) widerspricht dem zweiten Prinzip, weil mit ihr versucht wird, die Informationsgrundlage zu korrumpieren, auf die wir uns in unseren Anstrengungen, unserer Verantwortung für unser eigenes Leben gerecht zu werden, verlassen. Wenn Sie mich anlügen, schaden Sie mir selbst dann, wenn daraus keine weiteren Konsequenzen entstehen, zum Beispiel weil ich Ihnen keinen Glauben schenke, weil die Lüge keinen Einfluß auf mein Handeln hat oder weil mir aus meinem auf der Lüge beruhenden Handeln keine Nachteile entstehen. Jede Lüge schadet mir, weil auch nur der Versuch, meine Verantwortung auf diese Weise zu untergraben, eine Beleidigung meiner Würde darstellt. Und auch Sie als Lügner erleiden selbst einen Schaden, weil durch jene Verletzung meiner Würde auch Ihre eigene Selbstachtung in Mitleidenschaft gezogen wird.
    Nehmen wir aber an, daß Sie es vollkommen ernst gemeint haben. Sie hatten, als Sie mich zu einem gemeinsamen Treffen auf der Konferenz ermutigten, tatsächlich vor, selbst hinzugehen, bekamen aber, nachdem ich bereits zugestimmt und mich
518 mit einem Vortrag angemeldet hatte, eine Liste der anderen Vortragenden zu Gesicht, und Ihnen wurde klar, daß die Veranstaltung sehr viel weniger interessant sein würde, als Sie bis dahin gedacht hatten – eine reine Zeitverschwendung. Natürlich sollten Sie mir nun mitteilen, daß Sie Ihre Meinung geändert haben. Müssen Sie aber wirklich an dieser langweiligen Veranstaltung teilnehmen, nur weil ich mich bereits verbindlich angemeldet habe? Das ist eine andere Frage, die nicht ganz einfach zu beantworten ist. Werden Sie Ihrer Verantwortung, mir nicht zu schaden, nicht gerecht, wenn Sie sich anders verhalten, als Sie mich zu erwarten ermutigt haben? Haben Sie die Verantwortung, mir nicht auf diese Weise zu schaden?
    Wenn ich ohne Ihre Ermutigung nicht hingegangen wäre und die Konferenz sich als nutzlos erweist, etwa weil die Diskussion nach meinem Vortrag wenig kritisch und der Rest langweilig war, haben Sie mich auf ziemlich offensichtliche Weise geschädigt. Nehmen wir aber an, daß ich ohnehin an der Konferenz teilgenommen hätte und die Konferenz so spannend war, daß ich die Gelegenheit, mit Ihnen zu reden, gar nicht vermißt habe. Vielleicht hätte ich überhaupt keine Zeit gehabt, mich mit Ihnen zu treffen, wenn Sie gekommen wären. Haben Sie mir in diesem Fall auch geschadet? Sicher nicht in demselben Maße. Ist mir überhaupt ein Schaden zugefügt worden? Ja, und zwar in zwei Hinsichten.
    Erstens haben Sie riskiert, mir zu schaden, und das allein ist bereits eine Form von Schaden, so wie auch eine Schädigung vorliegt, wenn Sie unachtsam mit Ihrem Auto durch die Straße rasen, in der ich wohne, selbst wenn Sie mich dabei nicht überfahren. Als Sie sich entschieden haben, nicht zur Konferenz zu gehen, nachdem Sie mich bereits ermutigt hatten zu denken, daß Sie dort sein würden, wußten Sie nicht – oder zumindest nicht mit Gewißheit –, ob ich ohnehin teilgenommen hätte und die Konferenz produktiv finden würde. Wenn Sie vor Ihrer Entscheidung mit mir gesprochen hätten,

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